Montag, 31. Dezember 2018

Vernichtung

Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realität.
(Alfred Hitchcock)


Auschwitz-Birkenau, 29.12.2018



Ich war in Auschwitz. Ich war im Stammlager Auschwitz I, ich war in Auschwitz-Birkenau und ich war in Auschwitz III Monowitz. Ich habe alles gesehen und dennoch kann ich nicht vernünftig darüber berichten, denn es fehlt an passenden Worten, um verständlich zu beschreiben, was hier geschehen ist. Alles ist hier geschehen. Alles, was Menschen anderen Menschen antun können, ist hier geschehen.

Menschen wurden erschossen, zu Tode geprügelt, vergast; man ließ sie verhungern, operierte sie ohne Betäubung, sterilisierte sie, verbrannte sie mit Strahlung und mit Feuer. Man tötete Kinder, man ließ Menschen langsam erfrieren. Man ließ sie morgens zum Appell antreten, man ließ sie in ihrer dünnen und verschmutzten einlagigen Kleidung über Stunden in der Kälte des Winters stehen und warten. Man gab ihnen kaum Nahrung, man gab ihnen kaum Wasser. Und man nahm ihnen die Freunde, man nahm ihnen die Eltern, Geschwister und man nahm ihnen auch ihre Kinder. Man nahm ihnen ihre Würde, Stunde um Stunde, Tag für Tag. 

Wer war "Man"? "Man", das waren Menschen wie wir.

Männer. Frauen. 

Auch Deutsche. Vernichtet von Deutschen.

Das macht es zusätzlich schwer, hier zu sein.

Man schweigt, wenn man an Gruppen vorbei geht, die neben den Überresten des Krematoriums III und der dazu gehörenden Gaskammer stehen und sich auf Englisch oder gar Hebräisch unterhalten. 

Man schweigt, wenn man wie ich an jungen Chinesinnen vorbei kommt, die sich vor einer der übrig gebliebenen Baracken fotografieren und hierbei laut kichern.

Man schweigt und wünscht, dass alle hier schwiegen, so erdrückend drückt dieser Ort auf die Seele.



Fragen.

Wo war Gott, während die Gaskammern und Krematorien über Monate hinweg im Dauerbetrieb arbeiteten?

Wo war Gott, als kleine Kinder 1944 lebendig in die Verbrennungsgruben neben dem überlasteten Krematorium V geworfen wurden, in denen deren eigene Mütter mit ihrem Körperfett als menschliches Brennmaterial dienten? 

Wo war Gott, als Doktor Mengele Zwillingen Gift in ihre jungen Herzen injizierte, um ihnen nach dem Tod ihre Augen zu entnehmen, um diese nach Berlin ans Kaiser-Wilhelm-Institut zu schicken? 

Und wo war Gott gewesen, als Menschen diese Todesfabrik ersannen?

Die Antwort ist einfach: Es gibt keinen Gott. Immerhin so viel kann man hier lernen.
Hier herrschte kein allmächtiger Gott, hier regierte nur eins: Tod. Und der Tod war ein Meister aus Deutschland.

Wer Augen hat zu sehen, der sehe; wer Ohren hat zu hören, der höre.


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