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Freitag, 15. Mai 2015

Ich habe einen Traum

"Ich habe eine Traum!", so lautet der Höhepunkt der Rede von Martin Luther King Jr. am 28. August 1963. Er galt der diskriminierenden Rassentrennung von hell- und dunkelhäutigen Menschen in den Vereinigten Staaten.
Ganze drei Monate und elf Tage lebten Dr. King Jr. und ich Ende der 60er noch gemeinsam auf diesem Planeten, dann durchschlug eine Kugel aus dem Gewehrlauf eines weißen Rassisten seine Halsschlagader. King verblutete noch auf der Veranda seines Hotels in Memphis, Tennessee.

Dr. Martin Luther King Jr. am 23. August 1963 in Washington.

Quelle: „USMC-09611“ von http://www.marines.mil/unit/mcasiwakuni/PublishingImages/2010/01/KingPhoto.jpg. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:USMC-09611.jpg#/media/File:USMC-09611.jpg

Rassismus ist erbärmlich

Dr. King wusste sich im Recht: Der alltägliche Rassismus in den USA war unerträglich - und hier und da ist er es heute noch immer.
Auch in Deutschland wird Rassismus wieder offen geäußert, überwiegend als Diskriminierung von Muslimen. Besonders erbärmlich ist solch rassistisches Gehabe vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Judenverfolgungen im Dritten Reich.

Ich erinnere mich, wie beschämt ich war, als ich 1993 im polnischen Ausland in einer Hotellobby die Bilder vom brennenden Haus einer türkischstämmigen Familie im westdeutschen Solingen sehen musste - ausländerfeindliche Rechtsextreme hatten es in Brand gesteckt. Fünf Menschen starben, 14 Familienmitglieder erlitten zum Teil lebensgefährliche Verletzungen (alle Täter sind heute wieder auf freiem Fuß). Die polnischen Hotelgäste hörten uns deutsch sprechen und schauten meine Begleitung und mich missbilligend an. So etwa müssen sich Muslime fühlen, wenn "bei uns" im Fernsehen über Attentate islamistischer Terroristen berichtet wird - und Deutsche dann strafend zu ihnen herüberblicken.

Wir und "die Anderen"

Wo immer Menschen leben, wird schnell unterschieden zwischen einem "Wir" - uns! - und einem "Ihr" - den Anderen eben. Je unterschiedlicher das Äußere der Menschen, je abgrenzender ihr Auftreten in der Öffentlichkeit ist, desto schlimmer die Ressentiments. Das gilt nicht nur gegenüber anderen Völkern oder Großgruppen. Auch Deutsche untereinander grenzen sich leidenschaftlich gerne gegeneinander ab:  Katholiken, Protestanten; hier die Wessis, dort die Ossis; wir auf Schalke, ihr Scheiß-Bayern. Köln. Düsseldorf. Alaaf und Helau. Da werden mit Kölsch und Alt selbst zwei obergärige Biere in den Stand einer Religion erhoben.

Kurz nach dem Fall der Berliner Mauer - als Ost-Berliner endlich auch in West-Berlin studieren konnten - hörte ich im Radio einmal eine Umfrage unter West-Berliner Jura-Studenten zum Thema "Wie finden Sie es, dass Ost-Berliner jetzt auch im Westen studieren können?" - gefühlte 80 Prozent waren skeptisch bis dagegen, weil man meinte, es würde der "einheimischen" Gruppe etwas weggenommen. Bei mir als einem Nordrhein-Westfalen hatte seinerzeit niemand etwas dagegen gehabt, dass ich in West-Berlin studierte. Aber es hatte eben auch niemand eine Umfrage zu dem Thema gemacht. Glück gehabt. Etwas Ähnliches würde vermutlich auch herauskommen, wenn man fragen würde: "Sind Sie damit einverstanden, dass auch Studenten aus dem Block nebenan jetzt an Ihrer Uni studieren können?" Traurig.

Ich bin in den 90ern oft von Berlin nach Nordrhein-Westfalen und zurück getrampt. Einmal nahm mich ein Kurde mit, bot mir unterwegs Spezialitäten aus seiner Heimat an und schimpfte den Rest der Fahrt über auf "die Türken", die sein Volk unterdrückten etc. Auf dem Rückweg nahm mich ein Türke mit, den ich auf das Thema "Kurden" ansprach. Die Folge war eine längere Schimpfkanonade auf die "Terroristen", ihre "Ehrenmorde" etc. Als wir Berlin erreichten, lud er mich auf einen Döner an seinem persönlichen Lieblingsdönerstand in Kreuzberg ein. Beide Männer waren die mit Abstand gastfreundlichsten und nettesten Fahrer, die ich im Rahmen meines Berlin-NRW-Trampens kennengelernt habe. Für viele Deutschen sind beide schlicht nur "Türken" oder "Südländer". Andere halt. Traurig.



Türkisches Kulturzentrum in Deutschland.


Hut ab vor Schülern mit Migrationshintergrund!

Wie weit Menschen sich von ihren Vorurteilen steuern lassen, hängt davon ab, wie offen sie gegenüber Neuem sind. Seit 2009 unterrichte ich an unserer Schule auch viele Schüler mit Migrationshintergrund, die zum Großteil aus der Türkei stammen.
Diese jungen Menschen bereichern unsere Gesellschaft. Sie sind ambitioniert und leisten oft Erstaunliches. Die meisten sind hier aufgewachsen, ihre Eltern oder Großeltern kamen als Gastarbeiter zu uns, zu Hause wird oft Türkisch gesprochen, was es den jungen Menschen erschwert, eine Schriftsprachkompetenz im Deutschen zu erwerben, mit der man in diesem Land erfolgreich Karriere machen kann, handelt es sich dabei doch um eine Schlüsselqualifikation.
Ich habe Eltern kennen gelernt, für die ihre Kinder dolmetschen mussten. Diese können auch nicht wie die Eltern des einen oder anderen Gymnasiasten oder Berufsschülers hunderte von Euro in Nachhilfestunden stecken, um schulische Defizite ihrer Kinder auszubügeln. Ich habe unglaublichen Respekt vor allen Schülerinnen und Schülern, die aus der Türkei, aus Syrien, dem Irak, aus Russland, Serbien und anderen Ländern zu uns gekommen sind und hier innerhalb kurzer Zeit ein auch nur halbwegs vernünftiges Deutsch gelernt haben! Umgekehrt würde ich selber nie Französisch und Arabisch oder Türkisch, geschweige denn Russisch oder Serbisch, in so kurzer Zeit erlernen können! Hut ab vor euch! (Leider fallen uns Lehrern solche Sätze zu selten im Unterricht ein!)

Menschen sind geprägt durch die Kultur ihres Elternhauses, ob sie wollen oder nicht. 80 Prozent der Kinder gehören der Konfession ihrer Eltern an, gleich, ob katholisch oder muslimisch. Menschen sind aber auch stets bereit, sich auf Neues einzustellen und zu lernen. Sonst würde Schule keinen Sinn machen. Man muss aber auch auf andere Menschen zugehen und ihnen die Hand reichen und ihnen zeigen, dass sie Teil eines "Wirs" sind. Gibt man ihnen das Gefühl, sie seien ja nur ein Teil "der Anderen", dann sagen sie irgendwann "wir" und meinen "wir Türken" oder "wir Muslime", und nicht "wir Berliner", "wir Deutschen" oder "wir "Europäer".

Und deswegen muss die alltägliche Diskriminierung aufhören. Bewerber mit deutschen Namen erhalten bei gleicher Qualifikation insgesamt 14 Prozent mehr positive Antworten als die Bewerber mit türkischen Namen. Tobias und Dennis bekommen oft das Praktikum, Serkan und Fatih gehen häufig leer aus. (Quelle: Spiegel online)

Es ist ein Zeichen mangelnden zwischenmenschlichen Respekts, wenn die seit ihrem siebten Lebensjahr in Deutschland aufgewachsene türkischstämmige Schauspielerin und Autorin Renan Demirkan von einem Journalisten des Hessischen Rundfunks gefragt wird, wie sie denn "als Fremde" Europa erlebe und erstaunt zurückfragt: "Wieso 'Fremde'?" - und er hinterherschiebt: "Na ja, als HALBfremde, als Türkin sozusagen."

Aber Menschen sind mehr als die Summe ihrer Vorurteile.

Und deshalb habe auch ich noch immer einen Traum.

Ich habe einen Traum, dass eines Tages Serkan und Fatih genau so gut an einen Praktikumsplatz gelangen wie Tobias und Dennis. Dass "ausländische Mitbürger" als "einheimische Bürger" gesehen werden und alle Bürger als Menschen wie du und ich.

Ich habe einen Traum, dass eines Tages auch in diesem Land und überall auf der Welt die Menschen erkennen, dass ein respektvolles und tolerantes Miteinander so viel stärker ist als ein respektloses und hasserfülltes Gegeneinander und dass Einseitigkeit und Unvernunft den Menschen wieder zum Tier machen, während Vielseitigkeit und Vernunft Kräfte sind, die Menschen zu etwas machen, das den Namen Menschheit verdient.

Ich habe einen Traum: Dass die Liebe den Hass überwinden kann und eines Tages alle Völker Freunde werden!

Dies ist meine Hoffnung, dies ist mein Glaube.

Amen!



"Ich habe einen Traum - I have a dream"

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OECD-Studie: Wo die Chancen von Migranten am schlechtesten sind

Migrantenkinder aus Euro-Krisenländern: Sprachlose Schüler

Bewerber-Diskriminierung: Tobias wirft Serkan aus dem Rennen

RESPEKT STATT INTEGRATION - RENAN DEMIRKAN

Brandanschlag von Solingen 1993

Manager Magazin: Migranten - Neues Deutschland.


Mittwoch, 8. April 2015

Sex

"Ein Mann, das ist doch nur ein paar Zentimeter Fleisch mehr." (Kate Millet)

Immer wieder wird auf homosexuellen Mitmenschen herumgetrampelt. Dafür gibt es keinen Grund und keine Entschuldigung, denn sexuelle Orientierung wird nahezu jedem Menschen in die Wiege gelegt.

In den 50er-Jahren machte  in den USA der berüchtigte McCarthy-Ausschuss im Auftrag von Roy Cohn, der rechten Hand McCarthys, nicht nur Jagd auf Kommunisten, sondern auch Jagd auf Homosexuelle. Fun-Fact am Rande: Roy Cohn war selber homosexuell - und starb 1986 an AIDS.
In den USA - und nicht nur dort - finden sich die Homosexuellenfeinde häufig in rechtskonservativen Kreisen, auf dem Parteitag der US-Republikaner wurde jüngst ein radikaler Kurs gegen mehr Homosexuellen-Rechte verabschiedet. Und nicht nur für "muslimische Staaten" gilt: Je religiöser Staaten sich oft geben, desto homosexuellenfeindlicher sind ihre Gesetze. Doch nicht nur dort. Besonders in Afrika sind Gesetze gegen Homosexuelle stark verbreitet: In gut 40 afrikanischen Staaten steht Homosexualität unter Strafe. Das Parlament von Uganda verabschiedete ein Gesetz, das für homosexuelle Handlungen im Wiederholungsfalle lebenslange Haft vorsieht. Im Sudan, Somalia, Mauretanien und in Nigeria droht gar die Todesstrafe.
Die meisten Gesellschaften diskriminieren Homosexuelle und privilegieren eine auf Kinder und Familie angelegte heterosexuelle Lebensweise. Im Westen mögen die Gesetze fortschrittlicher sein - Homosexuellenfeindlichkeit gibt es auch hier. Zeit für den Biologen, einmal kritisch nachzufragen, was es eigentlich mit der Homosexualität wissenschaftlich gesehen auf sich hat.

Manchmal täuscht der erste Eindruck. Das Bild zeigt zwei antike Ringkämpfer.
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AIllustrerad_Verldshistoria_band_I_Ill_114.png (gemeinfrei)
von Ernst Wallis et al (own scan) [Public domain oder Public domain], via Wikimedia Commons

Was ist Homosexualität?


„Das Geschlecht entsteht nicht zwischen den Beinen, sondern zwischen den Ohren.“ ("Tatort")

Bei der Frage, was eigentlich Homosexualität ist, beginnen die Schwierigkeiten bereits. Für die einen Forscher ist es die vollzogene homosexuelle Handlung (und auch bei der Handlungen gibt es Abstufungen - reicht Streicheln oder Knutschen? Oder müssen ganze Körperteile irgendwo eingedrungen sein?). Reicht gar bereits das Denken, das bloße Sich-Hingezogen-Fühlen zum eigene Geschlecht? Problem für die Forscher: Letzteres lässt sich nicht objektiv messen. Ist jemand homosexuell, der sich an einem Tag zu einem Menschen gleichen Geschlechts hingezogen fühlt, am anderen Tag aber wieder auf das andere Geschlecht stärker reagiert?

Wie viele Menschen sind homosexuell?

Geschätzte 1 bis 5 Prozent aller Menschen sind homosexuell, und zwar weltweit. Von San Francisco bis Moskau und von Köln bis Saudi-Arabien. Wie viele Menschen sich genau zum eigenen statt zu einem anderen Geschlecht hingezogen fühlen (ja, es gibt mehr als zwei, zumindest genetisch gesehen), ist nicht präzise bestimmbar, da man auf Studien angewiesen ist, die in einem zum Teil doch sehr stark tabuisierten Bereich unterwegs sind - da wird die eine oder andere Antwort häufig erwünscht unwahr gegeben, oder Mann/Frau lügt sich selbst etwas vor. Dennoch ist es so: Ein bis fünf Prozent der Menschen liebt das eigene Geschlecht.

In Kinsey-Reports der 1940er und 50er Jahre ist sogar zu lesen: „37 % der gesamten männlichen Bevölkerung haben wenigstens eine reale homosexuelle Erfahrung bis zum Orgasmus zwischen Jugendzeit und hohem Alter; 30 % aller Männer haben zumindest einzelne homosexuelle Erlebnisse oder Reaktionen [...] über eine Periode von mindestens drei Jahren zwischen dem Alter von 16 und 55 Jahren; 25 % der gesamten männlichen Bevölkerung haben mehr als einzelne homosexuelle Erlebnisse oder Reaktionen [...] über mindestens drei Jahre zwischen dem Alter von 16 und 55 Jahren; […] 4 % der weißen Männer sind ausschließlich homosexuell in ihrem Verhalten nach Beginn der Pubertät“.

Manche Ergebnisse scheinen Schwankungen zu unterliegen. In einer Studie zur Jugendsexualität, die 1970 vom Hamburger Institut für Sexualforschung durchgeführt wurde, gaben 18 Prozent der befragten 16- und 17-jährigen Jungen an, gleichgeschlechtliche sexuelle Erfahrungen gemacht zu haben. Zwanzig Jahre später waren es nur noch 2 Prozent. In einer repräsentativen Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2000 schätzten sich nur 1,3 bzw. 0,6 Prozent der in Deutschland lebenden Befragten als schwul bzw. lesbisch sowie 2,8 bzw. 2,5 Prozent als bisexuell ein. Gleichzeitig gaben aber 9,4 Prozent der Männer und 19,5 Prozent der Frauen an, sich vom eigenen Geschlecht erotisch angezogen zu fühlen. Je nach Umfrage ergeben sich gehörige Schwankungen, die von 1,3 (Emnid-Umfrage 2000) bis 18 Prozent (Hamburger Institut für Sexualforschung, 1970, bezogen auf männliche Jugendliche) reichen.

Am häufigsten befürchten Jungen, homosexuell zu sein.

Jeder Jeck ist anders


Kleiner Exkurs: Es gibt übrigens, wie oben angedeutet, mehr als nur zwei Geschlechter, mehr als nur Mann und Frau. Bei der Verteilung der Geschlechtschromosomen kommt es immer wieder auch mal zu ungleichmäßigen Verteilungen. Und so gibt es neben den Geschlechtern XX (Frau) und XY (Mann) auch noch die folgenden Mitmenschen:

X0 (Turner-Syndrom) - Erscheinungsbild "weiblich"
XXY (Klinefelter-Syndrom) - Erscheinungsbild "männlich"
XXX (Triplo-X-Syndrom) - Erscheinungsbild "weiblich"
XYY (Diplo-Y-Syndrom) - Erscheinungsbild "männlich"

Die Häufigkeiten reichen von 1:590 (Diplo-Y) bis zu 1:2500 (Turner). So selten ist das nicht, und viele Betroffene dürften von ihrer Besonderheit nicht einmal etwas wissen.


Ist Homosexualität erblich?



"Sex ist nur schmutzig, wenn er richtig gemacht wird." (Woody Allen)



Der Schriftsteller Thomas Mann - selbst homosexuell - unterdrückte, gesellschaftlicher Konvention seiner bürgerlich-konservativen Umgebung folgend, zeitlebens seine Neigungen, heiratete und zeugte sechs Kinder, von denen drei ebenfalls homosexuell waren (Erika, Klaus und Golo Mann). Dies wirft natürlich die Frage auf: Ist Homosexualität erblich?
Eine Antwort aus der Familie Mann ableiten zu wollen, ist in etwa so schlau, wie nach Beobachtung einer Familie mit vier Töchtern zu schlussfolgern, die Wahrscheinlichkeit, ein Mädchen zu zeugen, sei 100 Prozent (in Wahrheit 50).

Thomas Mann und seine Gattin, 1927.
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ABundesarchiv_Bild_183-H28796%2C_Thomas_Mann_mit_Gattin.jpg (gemeinfrei)
Bundesarchiv, Bild 183-H28796 / CC-BY-SA [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons


Homosexualität dürfte nach den Grundsätzen der Evolution gar nicht (mehr) auftreten - sie müsste mangels Fortpflanzungserfolg ihrer "Merkmalsträger" längst ausgestorben sein. Ist sie aber nicht, was auf andere, eventuell epigenetische, Einflüsse hindeutet.

Was man sonst von Seiten der Wissenschaft zu dem Thema herausfand:

  • Die Konkordanzrate (Rate der Übereinstimmung) bezüglich des Merkmals ist bei eineiigen Zwillingen schwach, molekulare Untersuchungen, einen mit Homosexualität assoziierten DNA-Marker zu finden, sind ebenfalls gescheitert.
  • In der Gehirnforschung konnte kein Zusammenhang zwischen Androgenen (Hormonen mit geschlechtlich vermännlichender Wirkung), Gehirn und Homosexualität erhärtet werden.

Insgesamt ist erstaunlich, dass die Wissenschaft trotz (leider) immer noch hoher gesellschaftlicher Relevanz bisher wenig Endgültiges zu dem Thema herausfinden konnte.

In jedem Fall ist es vollkommen unsinnig, anderen Menschen eine sexuelle Orientierung vorschreiben zu wollen oder sich von ihr gar diffus bedroht zu fühlen. Sie ist angeboren, nicht umlernbar - und letztlich jedermanns Privatsache. Oder, wie der englische Schriftsteller und Dramatiker William Somerset Maugham formulierte: "Ich bin der Überzeugung, dass es kaum jemanden gibt, dessen Intimleben die Welt nicht in Staunen und Horror versetzte, wenn es übers Radio gesendet werden würde."

Ein schwuler Freund und Klassenkamerad, der sich mir als "Hetero" gegenüber jahrelang nicht zu outen wagte, sagte einmal zu mir: "Weißt du, ich schreibe Menschen nicht vor, was sie im Bett zu tun und zu lassen haben - und ich erwarte das auch umgekehrt!".

In diesem Sinne: Haben Sie Spaß an Ihrer eigenen Sexualität, - aber gönnen Sie dies auch allen anderen Menschen!




Weblinks:

Sexualverhalten der Deutschen (SPIEGEL)
http://www.spiegel.de/gesundheit/sex/sex-studie-das-sexleben-der-deutschen-a-1164321.html

Sexualverhalten der Deutschen (Ärzteblatt, ausführlicher mit Grafiken)
https://www.aerzteblatt.de/archiv/192871/Sexualverhalten-in-Deutschland

Lesben- und Schwulenverband: Ursachen von Homosexualität:
http://www.lsvd.de/homosexualitaet/ursachen.html

Tagesschau: Wo Homosexuellen die Todesstrafe droht
http://www.tagesschau.de/ausland/hintergrund-verbot-homosexualitaet100.html

Heinz J. Voß: Epigenetik und Homosexualität. http://heinzjuergenvoss.de/Voss_2013_Epigenetik_und_Homosexualitaet__.pdf

Spiegel.de: Papst Franziskus über schwule Priester: "Wer bin ich, über sie zu urteilen?"
http://www.spiegel.de/panorama/papst-franziskus-geht-nach-weltjugendtag-auf-schwule-priester-zu-a-913707.html

Spiegel.de: Jobmesse für Homosexuelle - Suche Arbeitgeber, die offen sind für alle
http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/sticks-and-stones-jobmesse-fuer-homosexuelle-a-930383.html

US-Urteile des obersten Gerichts: Ein großer Tag für Amerikas Homosexuelle
http://www.spiegel.de/politik/ausland/oberstes-us-gericht-kippt-bundesgesetz-gegen-homo-ehe-a-908054.html

Spiegel.de: Verfolgung von Homosexuellen: Sepp Blatter und der Bodensatz des Verstands
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sybille-berg-ueber-staaten-die-homosexualitaet-verbieten-a-932321.html

Spiegel.de: Rechtsextreme in Russland: Grausame Schau der Schwulenhasser
http://www.spiegel.de/politik/ausland/folter-videos-russische-neonazis-quaelen-schwule-a-933216.html

Mittwoch, 15. Mai 2013

Gott im Gehirn

Heute las ich zwei zum Teil schon ein paar Jahre alte wissenschaftliche Artikel aus dem renommierten Spektrum-Verlag (www.Gehirn-und-Geist.de), die sich - aus biologischer Sicht - mit der Religiosität von Menschen beschäftigten. Ihren Inhalt möchte ich hier leicht verkürzt wiedergeben (die Links der Quellen finden sich unten auf der Seite dieses Beitrags. Beide Artikel können auf den jeweiligen Websites auch kostenlos als PDF-Dateien zum privaten Gebrauch eingesehen werden).

Neurologische Erklärungen von Religiosität

"Im Flugzeug gibt es während starker Turbulenzen keine Atheisten."
(Robert Lembke)

Ein Gefühl von Religiosität lässt sich im Temporallappen künstlich erzeugen.
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gray728.svg (gemeinfrei)


Gott sitzt - folgt man Neurobiologen - im menschlichen Gehirn. Oder, genauer gesagt, im Temporallappen (auch Schläfenlappen genannt, in der Abbildung grün). Kommt es in diesem Bereich in einem Hirnareal hinter dem linken Ohr zu einer Temporallappenepilepsie, berichten Betroffene häufig von "spirituellen Visionen". Auch zwischen den Anfällen neigen diese überdurchschnittlich oft zu tiefer Religiosität.

Die unkontrollierten Erregungen der Nervenzellen im Bereich des Schläfenlappens kann man auch künstlich erzeugen. Ein umgebauter Motorradhelm, der elektromagnetische Signale sendet, dient an der kanadischen Laurentian University dazu, bei Versuchspersonen religiöse Gefühle zu erzeugen. Die dortigen Neuropsychologen unter Leitung von Michael Persinger behaupten, ein jeder könne mit dieser Methode "Gott treffen". Setzt man den Helm auf, wird ca. 20 Minuten lang  ein schwaches Magnetfeld über einem bestimmten Gehirnareal erzeugt: dem Scheitellappen (auch Parietallappen genannt, in der Abbildung gelb markiert). Immerhin vier von fünf Versuchspersonen (also 80 Prozent) beschreiben ihre Erfahrung danach als "übernatürlich" und "spirituell", wie eine "Begegnung mit Gott".

Fühlt ein Mensch sich Gott gerade ganz nah, passiert den Forschern zufolge Folgendes: der Temporalschläfenlappen wird besonders aktiv, während ein zweiter Bereich inaktiviert wird, der dem Körper zum einen das Gefühl für die Grenzen seines Körpers sowie zum anderen die räumlich-zeitliche Einordnung körperlichen Handelns übermittelt. Das Areal hierfür befindet sich in den Scheitellappen (Parietallappen). Tief meditierende Menschen schaffen es offenbar, einen Bereich weitgehend auszuschalten - das linke Orientierungsareal kann dann die Grenze zwischen dem Selbst und der umgebenden Welt nicht mehr klar wahrnehmen. Wird das rechte Zentrum inaktiv, werden Zeit und Raum nicht mehr wahrgenommen - der Meditierende verliert das Gefühl dafür und empfindet plötzlich etwas wie "Ewigkeit". Gehen im Orientierungsareal die Lichter aus, geht dem Menschen quasi ein  Licht an anderer Stelle an. Und umgekehrt.

Eine Instabilität im Temporallappen kann übrigens auch durch menschliche "Krisen" (Angst, Depressionen oder Schlafmangel) ausgelöst werden. Man denkt sogleich an Gläubige, die an einem Tiefpunkt ihres Lebens "plötzlich zu Gott fanden". Hier bleibt dann allerdings die Frage offen, warum, sobald die Krise hinter dem Gläubigen liegt und der Angstzustand nicht mehr besteht, sich der Effekt nicht umkehrt und wieder zu einer Abnahme der Religiosität führt. Hier greift der zweite Artikel aus dem Jahr 2009. Religion bietet nämlich durchaus auch Vorteile im menschlichen Miteinander. Beginnen wir am Anfang - bei den Kindern.


Erziehungswissenschaftliche Erklärungen von Religiosität

"Aber Jesus sprach: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, 
denn solcher ist das Reich der Himmel." (Matthäus 19,14)


Darstellung der Bergpredigt in der Matthäus-Kirche von Kopenhagen
Quelle (gemeinfrei): http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sankt_Matthaeus_Kirke_Copenhagen_altarpiece_detail1.jpg


Der Mensch reflektiert sein Leben und dessen Sinn aktiv im Frontallappen (in der ersten Abbildung blau markiert) - diese Hirnregion steht Forschern zufolge "mit biografischen Erinnerungen, Vorausplanung, Abwägung und Impulskontrolle in Zusammenhang". Bei zufälligen Schicksalsschlägen sucht das Gehirn nach einer Sinnhaftigkeit - deshalb werden "in allen bekannten Religionsgemeinschaften auch Krankheiten und Unglücksfälle auf gestörte Beziehungen zu übernatürlichen Akteuren zurückgeführt".

Besonders Kinder glauben intuitiv an ein Weiterleben nach dem Tod und an übernatürliche Instanzen. Dies zeigt beispielsweise ein Experiment von Forschern, das in spanischen Grundschulen durchgeführt wurde: Während einer Aufführung in einem Puppentheater wurde eine kleine Stoffmaus von einem Krokodil verschlungen. Eine anschließende Befragung der Kinder ergab, dass fast alle Achtjährigen zwar sagten, dass mit dem Tod der Maus auch ihre Körperfunktionen erloschen seien, - die meisten der Kinder glaubten aber, "die Seele" der Maus sei auch ohne Gehirn weiterhin vorhanden und fühle noch etwas, vermutlich Einsamkeit und/oder Heimweh.

Dieses Denken von Kindern ist etwa bis zum zwölften Lebensjahr normal, übrigens weitgehend unabhängig von einer religiösen Erziehung.


Exkurs: Magisches Denken

"Denken ist schwer, darum urteilen die meisten." (Carl Gustav Jung)

Eine überwiegend im Kindesalter anzutreffende Vorstufe des rationalen Denkens wird in der Wissenschaft als "Magisches Denken" bezeichnet. Bei Kindern tritt Magisches Denken etwa in Form des Glaubens an Wirkungen von Zauberei, Beschwörungen oder Wunschdenken auf. Unter den - aus wissenschaftlich-rationaler Sicht irrigen - Annahmen, die bei Magischem Denken unter anderem gemacht werden, gehören laut Wikipedia beispielsweise:

  • die irrige Annahme, man könne "die Außenwelt durch Worte, Formeln, Sprüche oder Gedanken beeinflussen" ("Abrakadabra, simsalabim - dreimal schwarzer Kater!")
  • die irrige Annahme, "es gebe eine übernatürliche Fernwirkung" ("Ich drücke dir beide Daumen und denke ganz fest an dich, dann schreibst du eine gute Klassenarbeit!")
  • die irrige Annahme, "Gegenstände könnten Eigenschaften ihrer Besitzer übertragen" ("Nimm meinen Ring - dann wirst du so stark wie ich!")
  • die irrige Annahme, "die Zukunft sei vorhersehbar" ("Der Peter hat geträumt, dass die Anna einen Unfall haben wird! Und so ist es dann auch gekommen!")
  • die irrige Annahme, "bestimmte Dinge oder Vorgänge hätten eine Vorbedeutung" ("Es donnert - das heißt nichts Gutes, bestimmt verhaue ich die Klassenarbeit!")
  • die irrige Annahme, "Symbole, zum Beispiel Amulette, hätten eine Wirkung" ("Wenn du meinen Glücksteddybären dabei hast, bringt er dir bei der Klassenarbeit Glück!")
  • die irrige Annahme, "bestimmte Menschen hätten übernatürliche Kräfte oder könnten Wesen mit solchen Kräften in ihren Dienst zwingen" ("Die Frieda nebenan kann hexen!")
  • die irrige Annahme, "Geister, Götter oder Geheimgesellschaften könnten getrennte Ereignisse oder Phänomene verbinden" ("Deine Mutter schaut uns aus dem Himmel zu - seitdem hast du immer Glück!")

Magisches Denken hat aus evolutionsbiologischer Sicht für Kinder durchaus einen Nutzen, da es zu ihrer Vorsicht gegenüber einer potenziell gefährlichen Umwelt beiträgt. Bekommt man irgendwo einen elektrischen Schlag, erhöht es die Überlebenschancen eher, wenn man die Ursache einem bösen Zauber zuschreibt, Angst bekommt und panisch davonläuft, während das rationale Forscher-Kind, das zur experimentellen Überprüfung noch weitere Gegenstände berührt, so möglicherweise einen weiteren, tödlichen Schlag bekommt.

Was für Kinder gilt, gilt jedoch nicht mehr für erwachsene Menschen. Hier dürfte eher rationales Verhalten die Überlebenschancen erhöhen als irrationales.
Dennoch finden sich in religiösen Zusammenhängen vielerlei Formen Magischen Denkens. Religiosität muss also auch evolutionäre Vorteile haben, sonst wäre sie irgendwann ausgestorben.


Evolutionsbiologische Erklärungen für Religiosität


"Für den gläubigen Menschen steht Gott am Anfang,
für den Wissenschaftler am Ende aller seiner Überlegungen." (Max Planck)


Nonne (in Rom): "Helfer am Nest"


Der zweite Artikel in "Gehirn und Geist" beschäftigt sich mit der Frage, welche Vorteile eine Gruppe religiöser Individuen gegenüber Nichtreligiösen haben könnte. Hier wurden die Forscher schnell fündig:

Gemeinsamer Glaube, verbindliche Gebote und Rituale stärkten den Zusammenhalt und das Vertrauen innerhalb einer Gruppe erheblich. Religiöse Menschen heirateten früher, blieben - egal, ob glücklich oder auch weniger glücklich - mit höherer Wahrscheinlichkeit später als Paare zusammen und hätten so auch deutlich mehr Nachwuchs als nichtreligiöse Paare. Die Gemeinschaften dieser Individuen schafften und befolgten zudem oft religiöse Gebote, die zu Ehe und Familie aufforderten ("Seid fruchtbar und mehrt euch!") - und bestraften Abweichler mit Ausschluss aus der Gemeinschaft (man denkt besonders an die Ausgrenzung und Verfolgung Homosexueller, den Hass auf Abtreibungsbefürworter oder "Ungläubige"). In besonders engen Gemeinschaften nähmen dann nicht nur Vertrauen und Kooperation zu, sondern genauso "die Abgrenzung gegenüber Andersgläubigen und Atheisten, die Ablehnung von Toleranz und Humor und teilweise sogar die Bereitschaft, eigene Interessen gewaltsam durchzusetzen."

Seit dem 19. Jahrhundert häufen sich "Marien-Erscheinungen" - mit einer Tendenz zur Globalisierung. Der Welt-Journalist Alan Posener verweist in seiner Biografie "Maria" darauf, dass die "Visionäre" meist Mädchen seien, die "in der Regel aus einfachen Verhältnissen" stammten, "aus einem sozialen Umfeld, das als konservativ oder sogar rückschrittlich gilt und sich durch soziale und politische Entwicklungen bedroht fühlt".

Im Durchschnitt ist Religiosität bei Frauen verbreiteter als bei Männern - weltweit haben Religionsgemeinschaften mehr weibliche Mitglieder. Diese engagierten sich ehrenamtlich entsprechend auch häufiger für ihren Glauben - allerdings besetzten überwiegend die Männer die exponierten religiösen Rollen.

Forscher erklären das mit dem noch immer "steinzeitlichen Rollenverhalten" der Geschlechter: Männer strebten nach kämpferischen "Heldenrollen", während die Frauen vor allem an sozialer und wirtschaftlicher Absicherung und somit an an einem Schutz ihres Nachwuchses interessiert seien. So werden Männer, Feuerwehrmann, Bischof, Papst oder Imam, Frauen hingegen Erzieherin, Nonne oder Krankenschwester.

Fazit der Forscher: Je aktiver Menschen ihre Religion ausübten, desto mehr Kinder hätten sie. Auch das altruistische Verhalten der zölibatär lebenden Geistlichen (sie fungieren den Forschern zufolge als "Helfer am Nest" - wie Ameisen oder Bienen) komme indirekt wieder dem Nachwuchs zugute. So erhöhe eine religiöse Gemeinschaft insgesamt ihre evolutionsbiologische Fitness gegenüber einer "gottlosen" Umwelt insgesamt deutlich.

Die Biologen vermuten, dass religiöses Verhalten bei Homo sapiens und dem Neandertaler erstmals im Zuge des Anwachsens des Stirnhirns - des präfrontalen Kortex - aufgetreten sei. Während  dieses Zeitraums lasse sich auch erstmals rituelles Bestatten Verstorbener nachweisen, was auf einen beginnenden Jenseitsglauben hindeute.



Wahrnehmungspsychologische Erklärungen für Religiosität


"Wozu braucht Gott ein Raumschiff?"
(James T. Kirk)

Eine häufige Wahrnehmunsstörung von Menschen ergibt sich durch das Herstellen so genannter Scheinkorrelationen, also dem Herstellen von Verbindungen zweier Faktoren, die zwar miteinander korrelieren, zwischen denen aber kein kausaler Zusammenhang besteht. Ein Beispiel: Das Alter irischer Mönche und der Bierpreis korrelieren positiv (beide steigen an), aber weder ist das Altern der Mönche für das Ansteigen des Bierpreises verantwortlich noch umgekehrt der Preisanstieg für das Altern der Mönche.

Sie finden das lustig? Dann überlegen Sie doch einmal, wie oft Sie vielleicht schon einen der folgenden Gedankengänge hatten:

  • Immer, wenn ich dieses Parfüm auflege, habe ich einen erfolgreichen Tag.
  • Wenn ich diese Glücksmünze bei mir trage, bin ich vor unerfreulichen Ereignissen geschützt. 
  • Wenn ich dreimal auf Holz klopfe, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein unerfreuliches Ereignis nicht eintritt.
  • Wenn ich meiner Tochter beide Daumen drücke, schreibt sie eine gute Klassenarbeit.
  • Wenn ich Schuhe auf den Tisch stelle, bringt dies Unglück.
  • Wenn ich laut ausspreche, dass ich heute mit Sicherheit keinen Stau auf der Autobahn haben werde, kommt garantiert einer.

Je häufiger sich eine Scheinkorrelation einstellt, um so fester glauben Sie daran. Dies ist auch die Erklärung, warum Menschen mit durchgerutschten Münzen ganze Parkhaus-Kassenautomaten blank rubbeln und bis zu zwanzigmal nacheinander auf Fahrstuhl- oder Ampelknöpfe drücken: Es bringt zwar nichts - aber man glaubt, es hätte ja vielleicht doch einmal etwas gebracht!


Schlusswort - wer nichts weiß, muss alles glauben!


"Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben." (André Gide)


Horoskop (auf yahoo.com): "Seien Sie heute mal nicht abergläubisch!"


Wer kann sich freimachen von spirituellen Empfindungen? Wohl niemand. Die verbreitetste Form von übersinnlichem Glauben - auch wenn sie gerne halb wissenschaftlich daherkommen - stellen wohl die populären Horoskope dar. Bei genauerem Nachdenken müsste es eigentlich jedem etwas merkwürdig vorkommen, dass ausgerechnet die exakte Position der Erde im Universum am Tag des Austretens eines Neugeborenen aus dem Geburtskanal seiner Mutter (und hier geht es teilweise um Minuten!) vorherbestimmen könnte, was an einem Tag wie dem heutigen mit einem passieren kann. Zudem müssten Zwillinge, auch zweieiige, exakt das gleiche Schicksal teilen - tagtäglich oder doch zumindest wöchentlich.

Horoskope müssen Unsinn sein - aber seien Sie mal ehrlich: Sie lesen die doch auch gerne!

Ich bin davon seit meinem 20. Lebensjahr kuriert. An einem 22. Dezember geboren, konnte ich als Kind der elterlichen Fernsehzeitschrift "Hörzu" entnehmen, dass ich ein Steinbock sei - ein rationaler, wissenschaftlicher Mensch, der sehr sachlich und logisch agiere. Das Tolle an den Horoskopen war: Sie schienen fast immer zu stimmen! Woche für Woche gaben sie mir so ein überwiegend gutes Gefühl.

Dann kam der Tag, an dem ich auf der obersten Etage des Berliner Europa-Centers einen Automaten für Horoskope entdeckte, der einem nach Einwurf einer D-Mark ein "Computer-Horoskop" erstellte. Das Besondere: Man musste auch seine Geburtszeit mit eingeben, in meinem Fall 6:55 Uhr. Ich warf die Mark ein - und las bestürzt Folgendes: "Der Sternzeichenwechsel am 22.12.1967 fand mittags um 12:32 Uhr statt. Sie sind somit Schütze, Aszendent Schütze." Nix Steinbock! Schütze! Jahrelang hatte ich die falschen Horoskope gelesen. Das saß.

Noch eine Zeitlang las ich spaßeshalber Schütze-Horoskope ("Sie sind ein aktiver, spontaner, sehr humorvoller und kreativer Mensch!" - stimmt!), nur um festzustellen, dass auch sie fast immer zutrafen.

Später erzählte mir dann eine Bekannte von einem ihrer Freunde, der für den Videotext eines größeren Senders Horoskope schreibe - und wie diese entstünden. Ein Praktikant besorge sich ein paar Zeitschriften und kleistere morgens aus unterschiedlichen Texten etwas zusammen, das dann so klinge wie:

"Heute begegnen Sie anderen Menschen offen und humorvoll. Diese schätzen Sie als kompetenten Ratgeber, und auch Ihr Partner freut sich über Ihre harmonische Art. Gehen Sie aber auch ausreichend auf seine Bedürfnisse ein, sonst droht Streit."

Das war es dann bei mir zum Thema "Horoskope" und meinem kindlichen Glauben daran. Aber eigentlich war es schade, denn wer schöpft nicht aus seinem Glauben auch einen Teil seiner Kraft? Nicht umsonst wusste schon Jesus: "Der Glaube kann Berge versetzen!"

Und fühlen wir uns nicht auch ein wenig "seelig", wenn wir an etwas glauben? Was bliebe denn von uns, so ganz ohne Magisches Denken und Religion?


Des Menschen Seele 
Gleicht dem Wasser: 
Vom Himmel kommt es, 
Zum Himmel steigt es, 
Und wieder nieder 
Zur Erde muss es, 
Ewig wechselnd.

(Goethe)


Weblinks:

Gehirn und Geist: Wo Gott wohnt. (02/2002)
http://www.gehirn-und-geist.de/alias/religion/wo-gott-wohnt/839269

Gehirn und Geist: Homo religiosus (04/2009)
http://www.gehirn-und-geist.de/alias/religiositaet/homo-religiosus/982255

Spiegel online: Spirituelle Sehnsucht: Ausflug in den Himmel
http://www.spiegel.de/spiegelwissen/nach-einem-nahtoderlebnis-wollen-viele-menschen-ihr-leben-aendern-a-898592.html


Sonntag, 28. April 2013

Evolution


"Gott hat den Menschen erschaffen, weil er vom Affen enttäuscht war.
Danach hat er auf weitere Experimente verzichtet." (Mark Twain)

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich habe Respekt vor Religionen. Ich habe Respekt davor, wie Menschen, durch Religion zu Höherem inspiriert, Unglaubliches erschaffen konnten wie die Pyramiden, einen Jupiter-Tempel oder den Petersdom.

Ich habe Respekt vor einer Institution, die einen zu Unrecht von ihr mit Folter und Tod bedrohten Astronomen namens Galileo Galilei formal wieder rehabilitiert, auch wenn dies wie in diesem Fall erst 350 Jahre nach seinem Tod geschah.

Und natürlich habe ich zwangsläufig riesigen Respekt vor religiösen Fanatikern, die einem mit Enthauptung drohen, wenn man auch nur den geringsten Zweifel an ihren Idolen äußert.

Gar keinen Respekt habe ich jedoch vor Menschen, die wissenschaftliche Erkenntnisse nicht wahrhaben wollen und diese dann verdrehen, um ihr verschrobenes Weltbild zu schützen. Die Rede ist von den so genannten Kreationisten.


1. Gebot: Du sollst keinen Unsinn plappern


"Der Mensch kommt unter allen Tieren in der Welt dem Affen am nächsten."
(Georg Christoph Lichtenberg)


Die Hauptverfechter des Kreationismus sind die in den Vereinigten Staaten stark vertretenen evangelikalen Christen, die auch politisch stark Einfluss nehmen. Laut einer Umfrage "Pew Forums on Religion and Public Life (2005)" sind 42 Prozent der US-Amerikaner der Ansicht, dass "die Lebewesen seit Anbeginn der Zeit in ihrer heutigen Form existierten". Die Hälfte der Amerikaner mit einem Alter über 65 akzeptiert den Kreationismus, in Kansas und Pennsylvania wurden Kreationismus und "Intelligent Design" sogar in die Lehrpläne der Schulen integriert.

Kreationisten bestreiten neben der Entwicklungsgeschichte des Menschen auch naturwissenschaftliche Theorien über den Ursprung des Lebens, die geologische Erdgeschichte, die Entwicklung des Sonnensystems und den Ursprung des Universums. Evangelikale und fundamentalistische Christen sowie einige ultraorthodoxe Juden vertreten den Glauben, dass die Erde von Gott vor wenigen tausend Jahren erschaffen wurde. Ein englischer Erzbischof  hat das im 17. Jahrhundert einmal anhand biblischer Lebensläufe und Stammbäume genau ausgerechnet: Zeitpunkt der Schöpfung war demnach der 23. Oktober 4004 vor Christus. Die Erde und das Universum sind somit 6017 Jahre alt. Aha.

Wissenschaftliche Methoden der Altersbestimmung wie die Radiokarbon-Methode, die Isochronmethode, die Eiskerndatierung und die Dendrochronologie werden von Kreationisten zwar zur Kenntnis genommen, aber - da sie dem Glauben widersprechen - schlicht für falsch erklärt.

Da die Verfassung der USA ein Verbot religiöser Inhalte im Schulunterricht enthält und es keinen gesonderten Religionsunterricht gibt, bleibt dieser Gruppe nur eine Möglichkeit, ihre eigenen und anderer Leute Kinder auch in der Schule erfolgreich zu indoktrinieren: Der Kreationismus muss wissenschaftlich erscheinen und im Biologie- oder Naturwissenschaftsunterricht verankert werden: Fossilien sind somit plötzlich das Ergebnis der Zerstörung durch eine globale Flut, wie sie in der Genesis beschrieben wird, das sprunghafte Auftreten neuer Arten wird mit dem Eingreifen Gottes in die "Evolution" erklärt. Hauptsache, das mittelalterliche Weltbild bleibt unangetastet.


Lebte Kreationisten zufolge bis vor kurzem möglicherweise als Drache weiter: Dinosaurier.


Im US-amerikanischen Dorf Petersburg, Boone County, unweit von Cincinnati im Bundesstaat Kentucky, befindet sich ein Museum der besondern Art: Das "Creation Museum" bringt seinen Besuchern dort folgende "Tatsachen" nahe:

  • Erde und Universum sind 6000 Jahre alt und wurden in einer sieben Tage dauernden Schöpfungswoche erschaffen
  • Die ersten Menschen waren Adam und Eva (letztere wurde aus Adams Rippe erschaffen)
  • Gott rottete zwischenzeitlich einmal durch die Sintflut alle Menschen und Tiere aus - außer Noah und die Tiere in seiner Arche (immerhin nach heutigem Stand bei mindestens einer Million bekannter Arten also zwei Millionen Exemplare, darunter Vogelspinnen, Giftschlangen und Moskitos, aber leider keine Einhörner)
  • Der Grand Canyon, den ja jeder Amerikaner kennt und der Fragen nach dem Entstehen von Gesteinsschichten aufwerfen könnte, wurde innerhalb weniger Monate von der großen Flut geschaffen
  • Nahezu realsatirisch liest sich bei Wikipedia, was dem Museum zum Verbleib der Dinosaurier einfällt: "Umstritten ist der Verbleib der Dinosaurier. Diese könnten durch die Sintflut ausgelöscht worden oder als Drachen bis in die nahe Vergangenheit weitergelebt haben."

Herrlich. Wenn's nicht so traurig wäre.


2. Gebot: Du sollst offen sein für neue Erkenntnisse 


"Für den gläubigen Menschen steht Gott am Anfang,
für den Wissenschaftler am Ende aller seiner Überlegungen." (Max Planck)


In den 90er Jahren klingelten in Berlin einmal zwei Vertreter der "Zeugen Jehovas" bei mir. Ein älterer Herr und eine ältere Dame (soweit ich mich erinnere, seine Frau) fragten freundlich, ob sie mit mir über Gott sprechen könnten. Da es mir in diesem Moment ungelegen war, ich aber auch ein wenig neugierig war, vereinbarten wir einen Termin am darauffolgenden Tag, zu dem die beiden auch pünktlich erschienen.

Ich hatte Tee und Gebäck bereitgestellt und - da ich zu der Zeit Biologie studierte - auch ein gängiges Schulbuch zum Thema "Evolution" zur Hand, welches u. a. das Bild eines Wal-Skeletts enthielt, auf dem man recht gut einen rudimentären Beckenknochen-Rest erkennen konnte.

Für mich ein klarer Fall: Die Abbildung legte eindeutig nahe, dass sich Wale evolutionär aus vierfüßigen Lebewesen entwickelt hatten. Ein Blick auf die Vorderextremität lässt wohl jeden Beobachter bemerken, wie ähnlich diese einer menschlichen Hand ist, man erkennt neben Elle und Speiche auch Handwurzelknochen und Fingerglieder ohne jede Mühe. Auch ohne das Wissen, dass Wale mit Lungen atmende und lebendgebärende Säugetiere sind, kann man so schon den einen oder anderen Schluss in Richtung Evolution des Wales ziehen.

Skelett eines Bartwales (a = Schulterblatt, b = Vorderbein, c = Rest des Hinterbeins). Meyers Konversionlexikon 1888. Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Whale_skeleton.png (gemeinfrei)

Nicht so jedoch meine beiden Gäste. Nach einer Phase freundlichen Smalltalks und nach einem groben Umreißen unserer Weltbilder (beide waren wie erwartet recht gottgläubig, ich selbst war ein paar Jahre zuvor aus der Kirche ausgetreten), brachte ich das Thema einmal auf die Evolution und wedelte provozierend mit dem Biologie-Schulbuch vor den beiden herum. Ich schlug die Seite mit dem Walskelett auf und fragte, was sie denn von solcherlei Erkenntnissen hielten.

Nach einem kurzen Augenblick des ehrlichen Erstaunens und Augenbrauenhebens fragte der ältere Herr dann: "Daran glauben Sie doch nicht wirklich, oder?"

Glauben? Ich dachte erst, ich hätte verkehrt gehört, fragte aber höflich zurück: "Was glauben Sie denn?"

Nun packte der ältere Herr eine Bibel und einen Aktenordner aus, in dem seinen Angaben nach Antworten auf so gut wie alle Fragen stünden, blätterte in einer Art Register - und las mir dann einige ausgewählte Bibelstellen vor, die nach Ansicht der Autoren dieser Mappe offenbar tieferen Aufschluss zum Thema "Wale" gäben. Unter anderem fiel das Wort "Walfische".

Wir redeten dann noch eine gute halbe Stunde munter aneinander vorbei - meine Gäste zitierten die Bibel, ich Biologie-Schulbücher. Am Ende saßen wir alle etwas ratlos herum, knabberten an unseren Keksen und nippten an unseren Teetassen.

Bei der Verabschiedung sagte der Mann zu mir: "Wissen Sie, ich habe für meinen Glauben im Konzentrationslager gesessen. Sie werden wohl kaum annehmen, dass ich das getan hätte, wenn ich irgendwelche Zweifel an diesen Dingen hätte."

Was soll man dazu sagen? Ich verkniff mir ein "Kann ja trotzdem falsch sein" und verabschiedete die beiden betroffen. Betroffen vor allem, weil niemand mit dem, was für jeden eine absolut klare Erkenntnis war, den anderen auch nur im Entferntesten irgendwie erreicht hatte.

Merkwürdigerweise klingelten die beiden ein paar Tage später wieder bei mir, diesmal wimmelte ich sie aber unter Hinweis auf unsere doch augenfällig vollkommen unvereinbare Ansichten höflich, aber entschieden für immer ab.


3. Gebot: Du sollst selbst denken


"Ich habe, glaube ich, die Zwischenstufe zwischen Tier und Homo sapiens gefunden. 
Wir sind es." (Konrad Lorenz)


Vorderextremitäten von Mensch, Hund, Schwein, Kuh, Tapir, Pferd.
Aus: Gagenbauer, Grundzüge der vergleichenden Anatomie, 2. Aufl. 1870.
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gegenbaur_1870_hand_homology.png (gemeinfrei)

Ein griechischer Philosoph sagte einmal: "Wenn man die Dinge nur lange genug betrachtet, dann wird man sie auch verstehen."

Wer dies für sich selbst ausprobieren möchte, der kann sich ja einmal obiges Bild näher anschauen, auf welchem die Vorderextremitäten recht verschiedener Landwirbeltiere abgebildet sind. Jeder Laie dürfe sofort den gleichen Bauplan von Elle, Speiche, Handwurzelknochen und Fingerknochen erkennen, ebenso, wie im Laufe einer Entwicklung hier manche Einzelbestandteile offenbar in die eine oder andere Richtung mutiert sind. Den Rest muss die Umwelt bewirkt haben, denn jede Neumutation muss erst einmal einem Selektionsdruck ihrer Umgebung standhalten. Oder, etwas einfacher gesagt: Müssten wir Menschen auf vier Beinen in der Gegend herumgaloppieren, dann hätten wir wohl heute auch Hufe.

Welche  produktiven geistigen Prozesse durch ein "genaues Hingucken" und Nachsinnen in Schwung kommen können, zeigte in Europa 1755 das große Erdbeben von Lissabon, ein Ereignis, das das gesamte Abendland der damaligen Zeit zum genaueren Hinsehen nötigte - und dessen Weltbild mindestens ebenso stark erschütterte wie die Gebäude der portugiesischen Hauptstadt.

Die Sache war nämlich die: Das Erdbeben ereignete sich (ähnlich wie das Erdbeben im Indischen Ozean 2004 mit seinen verheerenden Tsunamis) an einem der höchsten christlichen Feiertage, in diesem Fall am 1. November - also an Allerheiligen.

Nahezu alle Kirchen stürzten über darin betenden Menschen ein, während das Rotlichtviertel der damaligen Zeit, die Alfama, weitgehend unversehrt stehen blieb. Verängstigte Menschen rannten zum Hafen, nur um dort von einer Tsunami-Flutwelle fortgerissen zu werden. Die halbe Stadt brannte ab.

Das warf Fragen auf: Wie konnte ein gerechter und gütiger Gott dies zulassen?
Warum starben gläubige Christen, während Huren und zwielichtige Gestalten überlebten?
Wie konnte so etwas passieren?

Erdbeben von Lissabon 1755, zeitgenössischer Kupferstich (gemeinfrei)
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:1755_Lisbon_earthquake.jpg



Auch Leute wie Goethe - zur Zeit des Erdbebens sechs Jahre alt - kamen ins Grübeln: "Gott, der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erden, den ihm die Erklärung des ersten Glaubens-Artikels so weise und gnädig vorstellte, hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen."

Der verantwortliche portugiesische Premierminister begann umgehend mit Rettungs- und Wiederaufbaumaßnahmen. Er ließ Leichen auf Schiffe laden und im Meer bestatten, obwohl dies den damaligen Gebräuchen widersprach und die katholische Kirche es strikt ablehnte. Er ließ aber auch Beobachtungen sammeln, um Hinweise auf die Entstehung des Bebens zu erhalten. Hierbei fiel auf, dass sich viele Tiere vor Ankunft des Tsunamis in höher gelegene Gebiete geflüchtet hatten. Es war das erste Mal in Europa, dass man solches Verhalten von Tieren überhaupt bemerkt hatte. Von nun an sah man näher hin - und blieb skeptisch. Seit dem Beben von Lissabon hörte man stärker auf die Wissenschaftler - und etwas weniger auf die Pfarrer: die Epoche der Aufklärung war geboren.

Auch der portugiesische König war nicht mehr der gleiche Mann, der er vor dem Beben gewesen war. Hatte er zum Zeitpunkt der Katastrophe noch betend in einer Kirche gesessen, verlor er dort offenbar in größerem Umfang sein Vertrauen zumindest in die Standsicherheit solcher Gebäude. Den Rest seines Lebens wohnte er sicherheitshalber in einem Zelt.

Auch in anderen Regionen der Welt gibt es verheerende Erdbeben und Naturkatastrophen: Die Tsunami-Katastrophe von 2004 (am 2. Weihnachtsfeiertag) traf am härtesten mit Indonesien ausgerechnet den Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. Auch in Bangladesch (90 Prozent Moslems), Pakistan (96 Prozent Moslems) und dem Iran (98 Prozent Moslems) bebt und rüttelt es, was das Zeugt hält. Aber dort zieht man offenbar andere Schlüsse hinsichtlich des Verhältnisses von Religion und Naturwissenschaft als 1755 in Europa. Und auch in überwiegend christlichen Ländern wie Chile, Italien oder Mexiko bebt es weiterhin oft und heftig.

4. Gebot: Du sollst dich nicht nur mit Leuten umgeben, die dasselbe glauben wie du



"Im Flugzeug gibt es während starker Turbulenzen keine Atheisten."
(Robert Lembke)



Mein Vater vor der Freitagsmoschee in Isfahan, Persien

Mein Vater, aus dem seinerzeit deutschen Danzig heimatvertriebener Protestant, hatte in den 1960er-Jahren gleich zwei Schlüsselerlebnisse mit - wie er sagte - "weniger aufgeklärten Menschen", und zwar im heimischen Bayern sowie im fernen Persien (dem heutigen Iran).

Nach dem Krieg hatte er in Bayern Arbeit als Webmeister gefunden und war nun von einer mehrheitlich katholischen Bevölkerung umgeben, deren Rituale ihm zum Teil gänzlich neu waren und die dazu führten, dass er hier und da auch mal aneckte, da die ortsansässige Bevölkerung ihre religiösen Gewohnheiten und Gebräuche als absolut selbstverständlich für jedermann erachtete. Während dieser Zeit erhielt er ein Angebot, für ein Jahr im persischen Isfahan zu arbeiten, was er annahm. Dort war er nun von Moslems umgeben, die ihre Religion gleichfalls als absolut selbstverständlich erachteten und nach dem Motto verfuhren: Die "Ungläubigen" (dazu zählten ihrer Auffassung nach auch fromme Christen) haben sowieso immer Unrecht, wenn es um Fragen des Glaubens geht.

Zurück in Bayern, kam er mit einem "alten Mütterchen" ins Gespräch, die sich zuvor verwundert über alles Nichtkatholische geäußert hatte. Am Ende sagte er zu ihr: "Wissen Sie, es es gibt da draußen in der Welt Millionen von Menschen, die genau wie Sie davon ausgehen, dass ihre Religion die einzig richtige ist und die sich genauso über Sie wundern würden. Das sollte einem doch zu denken geben, oder?"

Auch im heutigen Deutschland - ganz gleich, ob Moslem, Christ oder Atheist - gilt wie wohl überall auf der Welt die Regel: 80 Prozent der Kinder gehören der Konfession ihrer Eltern an - schon allein das sollte einem zu denken geben.


5. Gebot: Gehet hin in Frieden

"Manche Hähne glauben, dass die Sonne ihretwegen aufgeht."
(Theodor Fontane)

Auch nur ein Stern: die Sonne.
Quelle: NASA (gemeinfrei)
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sun_in_X-Ray.png


In welche Richtung schreitet nun unsere Evolution voran? Die Physik hat uns ganz ungebeten die frustrierende Botschaft übermittelt, dass unser Sonnensystem schon in einigen hundert Millionen Jahren kein Leben mehr ermöglichen wird, wie wir es heute kennen: Unsere Sonne wird dann zum roten Riesen und wird uns - bzw. unsere Nachkommenschaft - nach und nach verbrutzeln. Für die bisherige Evolution vom Einzeller bis zum Menschen hatten wir zwei Milliarden Jahre Zeit - um von diesem Planeten herunterzukommen, nur noch einige hundert Millionen.

Unsere Lebenserwartung liegt bei maximal 130 Jahren. Die meisten Menschen werden jedoch eher 80 Jahre alt, wobei sie eigentlich nur zwischen dem 20. und dem 70. Lebensjahr Zeit haben, um sich gründlich in die Naturwissenschaften einzuarbeiten. Man hat also ein halbes Jahrhundert Zeit, das Wissen der Menschheit zu verstehen, etwas daraus zu machen und es weiterzugeben an die nachfolgende Generation.

Die Dinosaurier lehren uns, was es heißt, wenn die eigene Uhr überraschend abläuft und ein Asteroid mit ein paar Kilometern Durchmesser einen plötzlich von der Krone der Schöpfung zum Legebatterie-Hühnchen degradiert.

Wir sind dann mal gespannt, - wie es weitergehen wird mit der Menschheit!




Weblinks:

Kreationismus an US-Grundschule: Haben Dinosaurier und Menschen gleichzeitig gelebt?
http://www.sueddeutsche.de/bildung/kreationismus-an-us-grundschule-haben-dinosaurier-und-menschen-zeitgleich-gelebt-ja-1.1660220

Wissenschaftspolitik in den USA: "Darwin for Congress"
http://www.sueddeutsche.de/wissen/wissenschaftspolitik-in-den-usa-darwin-for-congress-1.1521048

Homeschooling: US-Gericht untersagt Asyl für deutsche Schulverweigerer
http://www.spiegel.de/schulspiegel/ausland/homeschooling-familie-romeike-bekommt-doch-kein-asyl-in-den-usa-a-900109.html

Mittwoch, 30. Januar 2013

Mursi go home!

Ägyptens Präsident Mursi weilt gerade in Berlin, wo man heute, am 30. Januar, dem Jahrestag der "Machtergreifung" Hitlers vor 80 Jahren gedenken sollte (Hinweis: Dies war noch kein Hitler-Vergleich!).

Auf Videoaufnahmen von 2010 ist laut SPIEGEL ein Mohammed Mursi zu sehen, der "die Zionisten" als "Blutsauger" und "Abkömmlinge von Affen und Schweinen" bezeichnet. Der ägyptische Präsident wies in Berlin darauf hin, er sei bei diesen antisemitischen Ausfällen aus dem Zusammenhang gerissen zitiert worden. Aha.

Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin


Nun frage ich mich, in welchem Zusammenhang ein zivilisierter Mensch Israelis als "Blutsauger" und "Abkömmlinge von Affen und Schweinen" bezeichnet haben könnte.

Sei's drum - an der Ausarbeitung des Programms für Präsident Mursi wäre ich gerne beteiligt gewesen; in Berlin bietet sich da zum Beispiel eine Teilnahme an der Gedenkveranstaltung wahlweise zur Machtergreifung Hitlers oder zum Holocaust-Gedenktag (27. Januar) an; am Holocaust-Mahnmal könnte man direkt der ermordeten Juden gedenken. Im Anschluss hätte ich eine Gesprächsrunde mit dem homosexuellen Regierenden Bürgermeister Berlins oder dem gleichfalls homosexuellen deutschen Außenminister empfohlen (deren Orientierung ich sonst nicht für erwähnenswert halte), etwa zum Thema "Toleranz gegenüber Menschen verschiedener sexueller Orientierung".

Ein abschließender Besuch beim deutschen Bundespräsidenten (ehemaliger Pastor) dürfte dann ganz im Fokus des Themas "Religionstoleranz" gestanden haben. Verabschiedung dann durch eine weibliche Regierungschefin.

Gute Heimreise, Mohammed Mursi!

Sonntag, 11. Juli 2010

"90 Prozent der Leute glauben das auch!"

"Wer nichts weiß, muss alles glauben" (Marie von Ebner-Eschenbach)


2400 v. Chr.: 90 Prozent der zivilisierten Welt glauben, dass die Sonne ein Gott ist.

800 v. Chr.: 90 Prozent der zivilisierten Welt glauben, dass die Erde scheibenförmig ist.

600 v. Chr.: 90 Prozent der zivilisierten Welt glauben, dass der oberste Gott der mit der Göttin Hera verheiratete Zeus ist.

100 v. Chr.: 90 Prozent der zivilisierten Welt glauben, dass der oberste Gott Jupiter ist (Gattin Juno).

40 n. Chr.: 90 Prozent der zivilisierten Welt glauben, dass auch Kaiser Gaius Caesar Augustus Germanicus (später eher bekannt als "Caligula") ein Gott ist.

1500 n. Chr.: 90 Prozent der zivilisierten Welt glauben, dass die Sonne sich um die Erde dreht.

1600 n. Chr.: 90 Prozent der zivilisierten Welt glauben, dass es Hexen gibt, die man verbrennen müsse. 0 Prozent glauben, dass Mensch und Affe gemeinsame Vorfahren haben könnten.

1800 n. Chr.: 90 Prozent der zivilisierten Welt glauben, dass Jesus von Nazareth am 24. Dezember 0 in einer Krippe in Bethlehem geboren und drei Tage nach seiner Hinrichtung durch römische Besatzer wieder lebendig angetroffen wurde.

1859 veröffentlicht Charles Darwin seine Theorie von der Entstehung der Arten.

1952 wird nachgewiesen, dass das Biomolekül DNA Träger der Erbinformation ist.

Heute sind immerhin nur noch 42 Prozent der US-Amerikaner der Ansicht, dass Lebewesen "seit Anbeginn der Zeit in ihrer heutigen Form existieren". Und schon immerhin etwa 26 Prozent glauben, dass sich das Leben über Jahrmillionen durch natürliche Auslese entwickelt hat (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kreationisten#Christentum).

Die zivilisierte Welt ist auf einem guten Weg. Es könnte nur schneller gehen.