"Gott hat den Menschen erschaffen, weil er vom Affen enttäuscht war. Danach hat er auf weitere Experimente verzichtet." (Mark Twain) |
Ich habe Respekt vor einer Institution, die einen zu Unrecht von ihr mit Folter und Tod bedrohten Astronomen namens Galileo Galilei formal wieder rehabilitiert, auch wenn dies wie in diesem Fall erst 350 Jahre nach seinem Tod geschah.
Und natürlich habe ich zwangsläufig riesigen Respekt vor religiösen Fanatikern, die einem mit Enthauptung drohen, wenn man auch nur den geringsten Zweifel an ihren Idolen äußert.
Gar keinen Respekt habe ich jedoch vor Menschen, die wissenschaftliche Erkenntnisse nicht wahrhaben wollen und diese dann verdrehen, um ihr verschrobenes Weltbild zu schützen. Die Rede ist von den so genannten Kreationisten.
1. Gebot: Du sollst keinen Unsinn plappern
"Der Mensch kommt unter allen Tieren in der Welt dem Affen am nächsten."
(Georg Christoph Lichtenberg)
Kreationisten bestreiten neben der Entwicklungsgeschichte des Menschen auch naturwissenschaftliche Theorien über den Ursprung des Lebens, die geologische Erdgeschichte, die Entwicklung des Sonnensystems und den Ursprung des Universums. Evangelikale und fundamentalistische Christen sowie einige ultraorthodoxe Juden vertreten den Glauben, dass die Erde von Gott vor wenigen tausend Jahren erschaffen wurde. Ein englischer Erzbischof hat das im 17. Jahrhundert einmal anhand biblischer Lebensläufe und Stammbäume genau ausgerechnet: Zeitpunkt der Schöpfung war demnach der 23. Oktober 4004 vor Christus. Die Erde und das Universum sind somit 6017 Jahre alt. Aha.
Wissenschaftliche Methoden der Altersbestimmung wie die Radiokarbon-Methode, die Isochronmethode, die Eiskerndatierung und die Dendrochronologie werden von Kreationisten zwar zur Kenntnis genommen, aber - da sie dem Glauben widersprechen - schlicht für falsch erklärt.
Da die Verfassung der USA ein Verbot religiöser Inhalte im Schulunterricht enthält und es keinen gesonderten Religionsunterricht gibt, bleibt dieser Gruppe nur eine Möglichkeit, ihre eigenen und anderer Leute Kinder auch in der Schule erfolgreich zu indoktrinieren: Der Kreationismus muss wissenschaftlich erscheinen und im Biologie- oder Naturwissenschaftsunterricht verankert werden: Fossilien sind somit plötzlich das Ergebnis der Zerstörung durch eine globale Flut, wie sie in der Genesis beschrieben wird, das sprunghafte Auftreten neuer Arten wird mit dem Eingreifen Gottes in die "Evolution" erklärt. Hauptsache, das mittelalterliche Weltbild bleibt unangetastet.
Lebte Kreationisten zufolge bis vor kurzem möglicherweise als Drache weiter: Dinosaurier. |
Im US-amerikanischen Dorf Petersburg, Boone County, unweit von Cincinnati im Bundesstaat Kentucky, befindet sich ein Museum der besondern Art: Das "Creation Museum" bringt seinen Besuchern dort folgende "Tatsachen" nahe:
- Erde und Universum sind 6000 Jahre alt und wurden in einer sieben Tage dauernden Schöpfungswoche erschaffen
- Die ersten Menschen waren Adam und Eva (letztere wurde aus Adams Rippe erschaffen)
- Gott rottete zwischenzeitlich einmal durch die Sintflut alle Menschen und Tiere aus - außer Noah und die Tiere in seiner Arche (immerhin nach heutigem Stand bei mindestens einer Million bekannter Arten also zwei Millionen Exemplare, darunter Vogelspinnen, Giftschlangen und Moskitos, aber leider keine Einhörner)
- Der Grand Canyon, den ja jeder Amerikaner kennt und der Fragen nach dem Entstehen von Gesteinsschichten aufwerfen könnte, wurde innerhalb weniger Monate von der großen Flut geschaffen
- Nahezu realsatirisch liest sich bei Wikipedia, was dem Museum zum Verbleib der Dinosaurier einfällt: "Umstritten ist der Verbleib der Dinosaurier. Diese könnten durch die Sintflut ausgelöscht worden oder als Drachen bis in die nahe Vergangenheit weitergelebt haben."
Herrlich. Wenn's nicht so traurig wäre.
2. Gebot: Du sollst offen sein für neue Erkenntnisse
"Für den gläubigen Menschen steht Gott am Anfang,
für den Wissenschaftler am Ende aller seiner Überlegungen." (Max Planck)
In den 90er Jahren klingelten in Berlin einmal zwei Vertreter der "Zeugen Jehovas" bei mir. Ein älterer Herr und eine ältere Dame (soweit ich mich erinnere, seine Frau) fragten freundlich, ob sie mit mir über Gott sprechen könnten. Da es mir in diesem Moment ungelegen war, ich aber auch ein wenig neugierig war, vereinbarten wir einen Termin am darauffolgenden Tag, zu dem die beiden auch pünktlich erschienen.
Ich hatte Tee und Gebäck bereitgestellt und - da ich zu der Zeit Biologie studierte - auch ein gängiges Schulbuch zum Thema "Evolution" zur Hand, welches u. a. das Bild eines Wal-Skeletts enthielt, auf dem man recht gut einen rudimentären Beckenknochen-Rest erkennen konnte.
Für mich ein klarer Fall: Die Abbildung legte eindeutig nahe, dass sich Wale evolutionär aus vierfüßigen Lebewesen entwickelt hatten. Ein Blick auf die Vorderextremität lässt wohl jeden Beobachter bemerken, wie ähnlich diese einer menschlichen Hand ist, man erkennt neben Elle und Speiche auch Handwurzelknochen und Fingerglieder ohne jede Mühe. Auch ohne das Wissen, dass Wale mit Lungen atmende und lebendgebärende Säugetiere sind, kann man so schon den einen oder anderen Schluss in Richtung Evolution des Wales ziehen.
Skelett eines Bartwales (a = Schulterblatt, b = Vorderbein, c = Rest des Hinterbeins). Meyers Konversionlexikon 1888. Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Whale_skeleton.png (gemeinfrei) |
Nach einem kurzen Augenblick des ehrlichen Erstaunens und Augenbrauenhebens fragte der ältere Herr dann: "Daran glauben Sie doch nicht wirklich, oder?"
Glauben? Ich dachte erst, ich hätte verkehrt gehört, fragte aber höflich zurück: "Was glauben Sie denn?"
Nun packte der ältere Herr eine Bibel und einen Aktenordner aus, in dem seinen Angaben nach Antworten auf so gut wie alle Fragen stünden, blätterte in einer Art Register - und las mir dann einige ausgewählte Bibelstellen vor, die nach Ansicht der Autoren dieser Mappe offenbar tieferen Aufschluss zum Thema "Wale" gäben. Unter anderem fiel das Wort "Walfische".
Wir redeten dann noch eine gute halbe Stunde munter aneinander vorbei - meine Gäste zitierten die Bibel, ich Biologie-Schulbücher. Am Ende saßen wir alle etwas ratlos herum, knabberten an unseren Keksen und nippten an unseren Teetassen.
Bei der Verabschiedung sagte der Mann zu mir: "Wissen Sie, ich habe für meinen Glauben im Konzentrationslager gesessen. Sie werden wohl kaum annehmen, dass ich das getan hätte, wenn ich irgendwelche Zweifel an diesen Dingen hätte."
Was soll man dazu sagen? Ich verkniff mir ein "Kann ja trotzdem falsch sein" und verabschiedete die beiden betroffen. Betroffen vor allem, weil niemand mit dem, was für jeden eine absolut klare Erkenntnis war, den anderen auch nur im Entferntesten irgendwie erreicht hatte.
Merkwürdigerweise klingelten die beiden ein paar Tage später wieder bei mir, diesmal wimmelte ich sie aber unter Hinweis auf unsere doch augenfällig vollkommen unvereinbare Ansichten höflich, aber entschieden für immer ab.
3. Gebot: Du sollst selbst denken
"Ich habe, glaube ich, die Zwischenstufe zwischen Tier und Homo sapiens gefunden.
Wir sind es." (Konrad Lorenz)
Vorderextremitäten von Mensch, Hund, Schwein, Kuh, Tapir, Pferd. Aus: Gagenbauer, Grundzüge der vergleichenden Anatomie, 2. Aufl. 1870. Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gegenbaur_1870_hand_homology.png (gemeinfrei) |
Ein griechischer Philosoph sagte einmal: "Wenn man die Dinge nur lange genug betrachtet, dann wird man sie auch verstehen."
Wer dies für sich selbst ausprobieren möchte, der kann sich ja einmal obiges Bild näher anschauen, auf welchem die Vorderextremitäten recht verschiedener Landwirbeltiere abgebildet sind. Jeder Laie dürfe sofort den gleichen Bauplan von Elle, Speiche, Handwurzelknochen und Fingerknochen erkennen, ebenso, wie im Laufe einer Entwicklung hier manche Einzelbestandteile offenbar in die eine oder andere Richtung mutiert sind. Den Rest muss die Umwelt bewirkt haben, denn jede Neumutation muss erst einmal einem Selektionsdruck ihrer Umgebung standhalten. Oder, etwas einfacher gesagt: Müssten wir Menschen auf vier Beinen in der Gegend herumgaloppieren, dann hätten wir wohl heute auch Hufe.
Welche produktiven geistigen Prozesse durch ein "genaues Hingucken" und Nachsinnen in Schwung kommen können, zeigte in Europa 1755 das große Erdbeben von Lissabon, ein Ereignis, das das gesamte Abendland der damaligen Zeit zum genaueren Hinsehen nötigte - und dessen Weltbild mindestens ebenso stark erschütterte wie die Gebäude der portugiesischen Hauptstadt.
Die Sache war nämlich die: Das Erdbeben ereignete sich (ähnlich wie das Erdbeben im Indischen Ozean 2004 mit seinen verheerenden Tsunamis) an einem der höchsten christlichen Feiertage, in diesem Fall am 1. November - also an Allerheiligen.
Nahezu alle Kirchen stürzten über darin betenden Menschen ein, während das Rotlichtviertel der damaligen Zeit, die Alfama, weitgehend unversehrt stehen blieb. Verängstigte Menschen rannten zum Hafen, nur um dort von einer Tsunami-Flutwelle fortgerissen zu werden. Die halbe Stadt brannte ab.
Das warf Fragen auf: Wie konnte ein gerechter und gütiger Gott dies zulassen?
Warum starben gläubige Christen, während Huren und zwielichtige Gestalten überlebten?
Wie konnte so etwas passieren?
Erdbeben von Lissabon 1755, zeitgenössischer Kupferstich (gemeinfrei) Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:1755_Lisbon_earthquake.jpg |
Auch Leute wie Goethe - zur Zeit des Erdbebens sechs Jahre alt - kamen ins Grübeln: "Gott, der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erden, den ihm die Erklärung des ersten Glaubens-Artikels so weise und gnädig vorstellte, hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen."
Der verantwortliche portugiesische Premierminister begann umgehend mit Rettungs- und Wiederaufbaumaßnahmen. Er ließ Leichen auf Schiffe laden und im Meer bestatten, obwohl dies den damaligen Gebräuchen widersprach und die katholische Kirche es strikt ablehnte. Er ließ aber auch Beobachtungen sammeln, um Hinweise auf die Entstehung des Bebens zu erhalten. Hierbei fiel auf, dass sich viele Tiere vor Ankunft des Tsunamis in höher gelegene Gebiete geflüchtet hatten. Es war das erste Mal in Europa, dass man solches Verhalten von Tieren überhaupt bemerkt hatte. Von nun an sah man näher hin - und blieb skeptisch. Seit dem Beben von Lissabon hörte man stärker auf die Wissenschaftler - und etwas weniger auf die Pfarrer: die Epoche der Aufklärung war geboren.
Auch der portugiesische König war nicht mehr der gleiche Mann, der er vor dem Beben gewesen war. Hatte er zum Zeitpunkt der Katastrophe noch betend in einer Kirche gesessen, verlor er dort offenbar in größerem Umfang sein Vertrauen zumindest in die Standsicherheit solcher Gebäude. Den Rest seines Lebens wohnte er sicherheitshalber in einem Zelt.
Auch in anderen Regionen der Welt gibt es verheerende Erdbeben und Naturkatastrophen: Die Tsunami-Katastrophe von 2004 (am 2. Weihnachtsfeiertag) traf am härtesten mit Indonesien ausgerechnet den Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. Auch in Bangladesch (90 Prozent Moslems), Pakistan (96 Prozent Moslems) und dem Iran (98 Prozent Moslems) bebt und rüttelt es, was das Zeugt hält. Aber dort zieht man offenbar andere Schlüsse hinsichtlich des Verhältnisses von Religion und Naturwissenschaft als 1755 in Europa. Und auch in überwiegend christlichen Ländern wie Chile, Italien oder Mexiko bebt es weiterhin oft und heftig.
4. Gebot: Du sollst dich nicht nur mit Leuten umgeben, die dasselbe glauben wie du
"Im Flugzeug gibt es während starker Turbulenzen keine Atheisten."
(Robert Lembke)
Mein Vater vor der Freitagsmoschee in Isfahan, Persien |
Mein Vater, aus dem seinerzeit deutschen Danzig heimatvertriebener Protestant, hatte in den 1960er-Jahren gleich zwei Schlüsselerlebnisse mit - wie er sagte - "weniger aufgeklärten Menschen", und zwar im heimischen Bayern sowie im fernen Persien (dem heutigen Iran).
Nach dem Krieg hatte er in Bayern Arbeit als Webmeister gefunden und war nun von einer mehrheitlich katholischen Bevölkerung umgeben, deren Rituale ihm zum Teil gänzlich neu waren und die dazu führten, dass er hier und da auch mal aneckte, da die ortsansässige Bevölkerung ihre religiösen Gewohnheiten und Gebräuche als absolut selbstverständlich für jedermann erachtete. Während dieser Zeit erhielt er ein Angebot, für ein Jahr im persischen Isfahan zu arbeiten, was er annahm. Dort war er nun von Moslems umgeben, die ihre Religion gleichfalls als absolut selbstverständlich erachteten und nach dem Motto verfuhren: Die "Ungläubigen" (dazu zählten ihrer Auffassung nach auch fromme Christen) haben sowieso immer Unrecht, wenn es um Fragen des Glaubens geht.
Zurück in Bayern, kam er mit einem "alten Mütterchen" ins Gespräch, die sich zuvor verwundert über alles Nichtkatholische geäußert hatte. Am Ende sagte er zu ihr: "Wissen Sie, es es gibt da draußen in der Welt Millionen von Menschen, die genau wie Sie davon ausgehen, dass ihre Religion die einzig richtige ist und die sich genauso über Sie wundern würden. Das sollte einem doch zu denken geben, oder?"
Auch im heutigen Deutschland - ganz gleich, ob Moslem, Christ oder Atheist - gilt wie wohl überall auf der Welt die Regel: 80 Prozent der Kinder gehören der Konfession ihrer Eltern an - schon allein das sollte einem zu denken geben.
5. Gebot: Gehet hin in Frieden
"Manche Hähne glauben, dass die Sonne ihretwegen aufgeht."
(Theodor Fontane)
Auch nur ein Stern: die Sonne. Quelle: NASA (gemeinfrei) http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sun_in_X-Ray.png |
In welche Richtung schreitet nun unsere Evolution voran? Die Physik hat uns ganz ungebeten die frustrierende Botschaft übermittelt, dass unser Sonnensystem schon in einigen hundert Millionen Jahren kein Leben mehr ermöglichen wird, wie wir es heute kennen: Unsere Sonne wird dann zum roten Riesen und wird uns - bzw. unsere Nachkommenschaft - nach und nach verbrutzeln. Für die bisherige Evolution vom Einzeller bis zum Menschen hatten wir zwei Milliarden Jahre Zeit - um von diesem Planeten herunterzukommen, nur noch einige hundert Millionen.
Unsere Lebenserwartung liegt bei maximal 130 Jahren. Die meisten Menschen werden jedoch eher 80 Jahre alt, wobei sie eigentlich nur zwischen dem 20. und dem 70. Lebensjahr Zeit haben, um sich gründlich in die Naturwissenschaften einzuarbeiten. Man hat also ein halbes Jahrhundert Zeit, das Wissen der Menschheit zu verstehen, etwas daraus zu machen und es weiterzugeben an die nachfolgende Generation.
Die Dinosaurier lehren uns, was es heißt, wenn die eigene Uhr überraschend abläuft und ein Asteroid mit ein paar Kilometern Durchmesser einen plötzlich von der Krone der Schöpfung zum Legebatterie-Hühnchen degradiert.
Wir sind dann mal gespannt, - wie es weitergehen wird mit der Menschheit!
Weblinks:
Kreationismus an US-Grundschule: Haben Dinosaurier und Menschen gleichzeitig gelebt?
Wissenschaftspolitik in den USA: "Darwin for Congress"
http://www.sueddeutsche.de/wissen/wissenschaftspolitik-in-den-usa-darwin-for-congress-1.1521048
Homeschooling: US-Gericht untersagt Asyl für deutsche Schulverweigerer
http://www.spiegel.de/schulspiegel/ausland/homeschooling-familie-romeike-bekommt-doch-kein-asyl-in-den-usa-a-900109.html
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