Berlin, 3. Oktober 1990: Deutschland wiedervereinigt |
"Berlin ist viel zu groß und unübersichtlich", so hört man schon einmal eierpellende Touries aus Wessiland nörgeln. Stimmt nicht!
Schaut man von oben auf die Stadt, sieht Berlin aus wie
ein großes Fadenkreuz: Von Westen nach Osten zieht sich eine breite Chaussee
durch die Stadt, eine weitere von Norden nach Süden. In der Mitte kreuzen sie
sich - in der Nähe des Brandenburger Tores, aber nicht direkt dort (dann hätte es auch keinen Grund gegeben, dort ein Tor zu bauen). Dort, wo sie sich
kreuzen, heißt die Ost-West-Achse "Unter den Linden", die
Nord-Süd-Achse Friedrichstraße.
Piekt man nun einen virtuellen Zirkel genau in die
Kreuzung der Straßen und zieht einen Kreis um den
Mittelpunkt herum, baut man auf diesem eine ringförmige S-Bahn-Strecke und
beult den Kreis so aus, dass das Bild eines nach Westen schauenden Hundekopfes
mit angelegten Ohren entsteht, dann erhält man eine Art Fadenkreuz, an dem man
sich in Berlin ganz gut orientieren kann.
Ziemlich genau in der Mitte befinden sich der Alexanderplatz und der Leipziger Platz. Warum nicht der Potsdamer Platz? Das
liegt daran, dass der Potsdamer Platz kein Platz, sondern eine schlichte
Kreuzung vor dem Leipziger Platz ist, den aber wiederum keiner kennt, weil die
Hochhäuser in der Nähe der Plätze immer nach dem Potsdamer Platz benannt
werden, da die Grenzübergangsstelle, die hier einmal war, unter dem Namen des
zugemauerten U- und S-Bahnhofs bekannt wurde. Das ganze ist mittlerweile so
erfolgreich, dass auch das Kulturforum (am Kemperplatz) vielleicht umbenannt werden
soll in "Kulturforum am Potsdamer Platz". Man munkelt, die Anwohner
am Innsbrucker Platz und am Breitscheidplatz würden langsam nervös, seien aber
nicht prinzipiell gegen eine Umtaufe halb West-Berlins in "Bezirke am Potsdamer
Platz". So viel dazu.
Nun zur Geschichte.
Vor einigen tausend Jahren gab es kein Berlin an der
gleichen Stelle, aber schon einen Fluss in der Mitte (der heutige Bezirk dort
heißt auch so). In der Mitte dieses Flusses, der Spree, liegt die Spree-Insel
(heißt natürlich erst heute so). Dort konnte man als König am ehesten sein
sicheres Schlösschen hinsetzen, was auch irgendwann passierte. Das Schloss
(zuletzt als Stadtschloss bekannt, da kein König oder Kaiser mehr drin wohnte)
stand dann auch einige hundert Jahre dort, bis Walter Ulbricht (DDR) es
abreißen ließ, da er nicht an diese monarchische Vergangenheit erinnert werden
wollte.
Aber zurück zu den Königen: Diese hatten meist nur zwei
verschiedene Namen (Wilhelm und Friedrich), aus denen sie mit einem
Binär-Randomisierungs-Programm neue bildeten, weshalb sich auch heutzutage kein
Schüler merken kann, wer wer war, da z. B. die letzten zweihundert Jahre
folgende Regenten in Berlin werkeln ließen:
- Friedrich Wilhelm III. (als Napoleon die Stadt besuchte)
- Friedrich Wilhelm IV. (Stichwort Museumsinsel)
- Wilhelm I. (Stichwort Bismarck)
- Friedrich III. (99 Tage Kaiser, dann Tod durch Kehlkopfkrebs; hieß als Kronprinz Friedrich Wilhelm)
- Wilhelm II. (Stichwort Erster Weltkrieg oder - letzter deutscher Kaiser, der mit dem zackigen Schnurrbart. Hieß als Kronprinz "Prinz Wilhelm") Weggelassen habe ich den Soldatenkönig (Friedrich Wilhelm, glaube, der I.) und seinen frankophilen Sohn, Friedrich II. (den "alten Fritz" - Stichwort Rex Pils).
- Was hat das mit dem Aufbau Berlins zu tun? Wir erinnern uns: Friedrichstraße/Unter den Linden/Brandenburger Tor!
Irgendein Friedrich ließ ein neues Stück Stadt auf der
anderen Seite der Spree, gegenüber seinem Schloss anbauen. Ja, so etwas
Anbaumäßiges, das der Sicherung dienen sollte (mit einem Graben), und das heißt in
Deutschland oft "Werder", in diesem Fall "Friedrichswerder" (=
Werder von Friedrich). Deswegen heißt z. B. heute noch eine dort stehende, von
Karl F r i e d r i c h (!) Schinkel erbaute Kirche auch
"Friedrichswerdersche Kirche".
Als hinter dem Friedrichswerder wieder ein Stück Stadt
angebaut wurde, bekam dies den etwas einfacheren Namen Friedrichstadt (= Stück
Stadt neben dem Werder von Friedrich, heute stehen dort deshalb die
Kommerz-Bauten "Friedrichstadt-Passagen" = Durchgänge im Stück Stadt
am Werder von Friedrich). Klar, dass die Grenze der Friedrichstadt die
Friedrichstraße war (bzw. umgekehrt, erst gab's da wohl die Friedrichstadt,
dann wurde der Trampelpfad am Rand Friedrichstraße genannt.
Da Könige selten in einem einzigen Schloss wohnen (oder
Gattinnen haben, die auch eins wollen), wurde für irgendeine Charlotte
(Sophie-Charlotte? Übrigens Frau von Friedrich I., der vor seiner Krönung zum
ersten König Preußens Friedrich III. hieß, was die Sache nicht eben
erleichtert) ein Schloss außerhalb Berlins gebaut, das natürlich heute bzw.
seit 1920 wieder i n n e r h a l b Berlins liegt, weil die Stadt immer weiter
anwucherte (Schuld: Wilhelm I. bwz. Bismarck).
Um nun zum Charlottenburger Schloss (ein ähnlich
gescheiter Name wie "Schloss Burg" in Solingen) zu gelangen, wurde
eine nette Allee zwischen Stadtschloss und Schloss Charlottenburg angelegt,
eben die anfangs angesprochene Ost-West-Achse, die bis zur (damaligen) Berliner
Stadt-Grenze mit Linden-Bäumchen dekoriert wurde: Fertig war "Unter den
Linden". Deswegen auch Brandenburger Tor: Da ging's raus aus der
Innenstadt - und zwar in Richtung Brandenburg (die Stadt ist gemeint, nicht das
heutige Bundesland), die damals noch nicht am Ku(rfürsten)damm lag (nicht zu
verwechseln mit der Prostituierten-Meile "Kürfürstenstraße"!),
sondern dort, wo heute gar nichts mehr ist außer dem so genannten ehemaligen "Palast" der Republik - am Schloss.
Stichwort Kurfürstendamm: Der Große Kurfürst hieß - na? -
Friedrich Wilhelm und wohnte auch im Stadt-Schloss. Seine unbeschäftigte und
früh verblichene Gattin Louise Henriette bekam auch ein Schloss im Norden
Berlins, und da sie von den Holländern abstammte, also von den Oraniern, hieß das
Schloss im Norden Berlins Oranienburg (auch keine Burg, aber so läuft das
hier).
Stichwort Palast: Im Norden der Friedrichstraße in der
Spandauer Vorstadt (weit weg von Spandau, gleich mehr zu diesem Paradox), die
an die Friedrichstadt grenzt, liegt der "Friedrichstadtpalast", ein
Plattenbau-Revue-Theater, gebaut von der DDR (hätte eigentlich Erichstadtpalast
heißen müssen). Die "Spandauer Vorstadt" war also der Stadtanbau an
die Friedrichstadt in Richtung Spandau (= Stadtteil Richtung Spandau, an
Stadtteil grenzend, der an den Werder von Friedrich grenzt). Palast heißen in
Berlin meist hässliche Gebäude: Palast der Republik, Friedrichsstadt-Palast,
Palast-Hotel (wurde umbenannt und abgerissen). Im Osten
heißen sie "Palast", im Westen "Arkaden",
"Passagen", "Center", "Forum" oder
"Karree".
Hier müssen wir innehalten, um einige wichtige Aussagen
noch einmal zusammenzufassen:
- Die Mitte Berlins bildete über viele hundert Jahre ein Schloss, in dem die Könige Preußens residierten, aus denen dann drei gesamtdeutsche Kaiser hervorgingen: Wilhelm I., sein Sohn Friedrich III. sowie dessen Sohn Wilhelm II.
- An dem Platz, auf dem bis 1950 das Stadtschloss stand, also die politische und kulturelle Mitte der Stadt und des Landes Preußen, wenn nicht Deutschlands, befand sich später der Bau der DDR-Volkskammer sowie später ein Kabarett-Zelt, in dem nach (u. a.) Helge Schneider die Kabarettistin Desiree Nick zurzeit eine Veranstaltung namens "Hängetitten" aufführt.
- Jetzt ist da wieder ein Schloss, aber man erkennt es noch nicht.
Monarchie und Demokratie haben sich in Deutschland selten
gut vertragen, weshalb auch das Parlament als Ort der Demokratie vor die
Stadtgrenze gelegt wurde. Deshalb steht der Reichstag kanpp v o r dem
Brandenburger Tor, also dem Tor, durch das man lange Zeit die Stadt verließ.
Der Platz vor dem Reichstag heißt heute konsequent "Platz der
Republik", sprich: Platz der Regierungsform, die demokratisch ist und
nichts mit Monarchen am Hut hat". Vorher hieß er ebenso konsequent einmal
"Königsplatz", sprich: "Platz der Staatsform, die nichts mit dem
Ding zu tun hat, das gegen die Monarchie ist und in dem ein Parlament sich
aufhält". Mitten auf diesem stand die Siegessäule, und die
Victoria-Goldelse - eine Siegesgöttin also - auf dieser blickte nach Süden.
Heute steht sie auf dem Großen Stern, mitten auf der Ost-West-Achse, und guckt
nach Westen. Außerdem ist sie höher als zu Anfang des Jahrhunderts. Wieso? Wegen Hitler, aber dazu
später mehr. Erst einmal noch zurück zur Ost-West-Achse.
Wir erinnern uns: Der König ritt von seinem Stadt-Schloss
zu seiner Gemahlin im Schloss Charlottenburg. Die große Ost-West-Achse, die
heute "Straße des 17. Juni" heißt, hieß logischerweise lange Zeit
"Charlottenburger Chaussee", da sie nach Charlottenburg führte. So
ist es übrigens häufig in Berlin: Straßen und Plätze sind oft danach benannt,
wohin sie führen: Die Potsdamer Straße führte von (Klein-Berlin) in Richtung
Potsdam, der Tegeler Weg Richtung Tegel usw. Kompliziert wurde es, wenn alle
anderen markanten Bauten in der unmittelbaren Umgebung auch diesen Namen
bekamen, etwa die zahllosen Kopfbahnhöfe: Der Schlesische Bahnhof führte
Richtung Schlesien, der Anhalter Bahnhof Richtung Anhalt aus der Stadt raus
(genauso: Frankfurter Bhf., Stettiner Bhf., Lehrter Stadtbahnhof, Hamburger
Bhf. usw.): Kurioserweise gab es auch in Berlin aus ebendiesem Grund einen
"Potsdamer Bahnhof", nämlich am Potsdamer Tor, am Potsdamer Platz und an der Potsdamer Straße.
Den Bahnhof gibt es dort heute nicht mehr, nur eine Grünfläche (mein Vater, der
einmal in den 40er Jahren dort mit der Bahn hinfahren wollte, beging den
Fehler, Reisende nach dem Weg zu fragen und landete prompt am Potsdamer Bahnhof
- in Potsdam).
Vom Anhalter Bahnhof, der also nichts mit irgendwelchen
Anhaltern zu tun hat, steht heute nur noch ein Teil des Eingangsportals; der
Lehrter Stadtbahnhof wurde zum neuen Hauptbahnhof Berlins ausgebaut.
DDR-Ost-Berlin hatte einige Zeit auch einen "Hauptbahnhof", nämlich
den ehemaligen und umbenannten "Ost-Bahnhof" bzw. "Frankfurter
Bahnhof" in Friedrichshain (da ist dieser Name wieder!), der heute wieder
Ost-Bahnhof heißt. Wir müssen ergänzen, dass der Lehrter Bahnhof (der alte
wurde nach dem Krieg komplett abgerissen) zurzeit ein S-Bahnhof der Stadtbahn
ist (was ist das nun wieder? Antwort gleich!), der auch abgerissen wurde,
um dem neuen "Lehrter Bahnhof" zu weichen, der dann jetzt "Berlin
Hauptbahnhof" heißt. Könnten Sie das bitte wiederholen?
Stadtbahn. In Berlin heißt S-Bahn nicht unbedingt wie in
Westdeutschland "Schnell-Bahn" (wäre eh falsch), sondern eine
S-Bahn-Strecke mitten durch die Stadt, von West nach Ost, heißt Stadtbahn -
eben weil sie quer durch die ganze Stadt geht, von Potsdam bis Erkner.
Stichwort Tor. Die zeitweiligen Grenzen der Stadt kann
man gut an den Namen der Stadt-Tore ablesen, von denen wir schon zwei kennen:
das Brandenburger Tor (Stadtausgang Richtung Brandenburg) und das Potsdamer Tor
(am heutigen Potsdamer Platz, Stadtausgang Richtung Potsdam). Weitere Tore, auf
die heute oder vor einigen Jahrzehnten Namen von U- oder S-Bahn-Stationen
hinweisen bzw. -wiesen: Stralauer Tor (Richtung Spreehalbinsel Stralau, der
ehemals dazu gehörende U-Bahnhof an der Oberbaumbrücke wurde abgerissen),
Hallesches Tor (nicht nach dem Halleyschen Kometen benannt, sondern nach der
Stadt Halle an der Saale), Oranienburger Tor (Richtung Norden - nach
Oranienburg, Stichwort holländische Oranjer-Prinzessin, die Frau von Friedrich
Wilhelm, dem "Großen Kurfürst". Sein Reiterstandbild steht übrigens heute im
Hof des Charlottenburger Schlosses, früher stand es hinter dem Stadtschloss.
Ein weiterer Abdruck steht im Bode-Museum, ehemals Kaiser-Friedrich-Museum,
benannt übrigens nach Kaiser Friedrich III., Stichwort Kehlkopfkrebs,
99-Tage-Kaiser).
Weiter: Schlesisches Tor in Kreuzberg, am ehemaligen
Schlesischen Bahnhof (später Görlitzer Bahnhof, der U-Bahnhof dazu heißt noch
heute so, der Fernbahnhof wurde abgerissen. Dafür gibt es noch den Bahnhof
Schlesisches Tor. Auf dem Gelände des ehemaligen Schlesischen bzw. Görlitzer
Bahnhofs befindet sich an der Görlitzer Straße heute ein Park mit dem
Spreewaldbad am Spreewaldplatz und einer Nachbildung des türkischen
Pamukkale-Brunnens, der gleich nach der Eröffnung wegen Baufälligkeit wieder
für die Öffentlichkeit gesperrt wurde).
Das Kottbusser Tor (nicht: Cottbusser Tor, warum weiß
kein Mensch, da Cottbus schon immer Cottbus geschrieben wurde) ist heute
Drogenumschlagplatz Nr. 1 in Berlin, der dort abzweigende Kottbusser Damm wirkt
gegen die architektonisch verelendete Gegend um den U-Bahnhof Kottbusser Tor
geradzu idyllisch. Das architektonische Monstrum "Neues
Kreuzberg-Zentrum", abgekürzt NKZ (kein Scherz, der Gleichklang mit KZ war
unbeabsichtigt, aber auch offenbar unbemerkt) ersetzte in den 70er Jahren die
augenfreundlichen, aber heruntergekommenen Berliner Stuck-Altbauten rund ums
Kottbusser Tor. Ein Jammer.
Beim "Frankfurter Tor" bin ich mir nicht
sicher, ob es früher einmal auch ein Stadttor gewesen ist, da es zumindest
architektonisch als Abschluss der Karl-Marx-Allee erst in den 50er Jahren
entstanden ist (die beiden Türme sollen an den Deutschen und Französischen Dom
auf dem Gendarmenmarkt erinnern - quasi "Arbeiter-Kirchen"). Putzig ist
jedenfalls die Geschichte des dazugehörenden U-Bahnhofs, der in der DDR
"Frankfurter Tor" hieß, was ja auch sehr treffend war. Nach der Wende
entschloss sich die BVG, ihn in "Rathaus Friedrichshain" umzutaufen,
wohl im Glauben, das "Friedrichs-" komme immer gut an in Berlin,
wofür, wie wir oben gesehen haben, ja auch einiges spricht. Dennoch ging ein
Ruck durch die Friedrichshainer, und es hagelte Proteste, woraufhin man sich
entschloss, den Bahnhof kompromisslerisch in "Petersburger Platz"
umzubenennen. Immerhin verzichtete man darauf, die Netzspinnen in allen
öffentlichen Verkehrsmitteln entsprechend neu zu drucken, was auch letztlich
eine kluge Entscheidung war, denn wieder war die Aufregung groß; die Bürger
forderten die erneute Umbenennung in "Frankfurter Tor". Die BVG gab
nach, war aber wohl frustriert von den nicht eben geringen Kosten der laufenden
Umbenennungen, so dass folgende Situation entstand: Auf allen Netzspinne in den
U- und Straßenbahnen sowie auf allen S- und U-Bahnhöfen las man, der Bahnhof
heiße "Rathaus Friedrichshain". Fuhr man dann hin, konnte man den
Schildern über der Erde entnehmen, der Bahnhof heiße "Frankfurter
Tor". Stieg man in den Untergrund, sah man sich mit Schildern
konfrontiert, nach denen der Bahnhof "Petersburger Platz" hieß. Nach
einigen Monaten oder Jahren heißt nun alles wieder "Frankfurter Tor"
- wie zu DDR-Zeiten.
Das Hallesche Tor ist der südliche Startpunkt der
Friedrichstraße, zugleich auch der fast parallel laufenden - na, wie könnte
eine solche Straße wohl heißen? - Wilhelmstraße. Mit dieser Wilhelmstraße hat
es historisch etwas Hochinteressantes auf sich: Sie war früher die Straße, in
der sich alle wichtigen Ministerien Deutschlands befanden. Heute ist dort u. a.
wieder das Finanzministerium angesiedelt, in einem Gebäude, zu dem wir auch noch
etwas schreiben müssten. In der Mitte der Wilhelmstraße war vor dem Krieg der
Wilhelmplatz, an dem das berühmte Hotel Kaiserhof lag. Warum ist das
interessant?
Nun, an der Wilhelmstraße lag auch die Reichskanzlei, die
für Hitler dann 1938/39 Ecke Voßstraße gehörig erweitert wurde, bis das ganze
Ensemble aussah wie das Tal der Könige im alten Ägypten. Gegenüber lag also der
Wilhelmplatz, und wenn man alte Wochenschauaufnahmen sieht, in denen Hitler auf
seinen Balkon tritt und selbstgefällig den Arm zum "Heil-myself" nach
hinten klappt, dann sieht man auch den Wilhelmplatz, auf dem so rund 100.000
begeisterte Untertanen "Heil Hitler" kreischten.
Nach dem Krieg wurde alles abgerissen, der Wilhelmplatz
bebaut, dort stand dann bspw. die Botschaft Tschechiens. Das Hotel Kaiserhof,
in dem die Nazis sich vor der Machtergreifung häufig getroffen und in dem sie
zeitweise politisch wie in einer Behörde residiert hatten, wurde auch
abgerissen. Aus dem Wilhelmplatz wurde ein namenloses Nichts, aus der
Wilhelmstraße die Otto-Grothewohl-Straße, dann, nach der Wende, kurzzeitig die
"Toleranzstraße", bis auffiel, dass in Frankreich so vor allem
Straßen heißen, in denen es von gewissen Etablissements wimmelt; anschließend
hieß sie wieder durchgehend (ein Teil lag in West-Berlin und behielt immer den
alten Namen) "Wilhelmstraße".
Der U-Bahnhof wechselte seinen Namen mit Platz und
Straße: Aus "Kaiserhof" wurde "Otto-Grothewohl-Straße",
heute heißt er nach einer Querstraße umstritten "Mohrenstraße". Mohren gibt es
in der ganzen Ecke übrigens kaum, die armseligen Plattenbauten, mit denen die
DDR das Gelände der ehemaligen Ministergärten bebaute, beherbergten nur DDR-Bürger und -Promis. Unter anderem soll dort Katharina Witt gewohnt haben (schwer
vorstellbar, denn elegant ist die Gegend nun nicht gerade). Der rote Marmor, der Hitlers Reichskanzlei auskleidete, ziert
übrigens heute das Innere des U-Bahnhofs Mohrenstraße.
Mitten im Großen Tiergarten steht die Siegessäule,
westwärts blickend, bekannt von der Love-Parade in den 90ern. Bis 1938/39 stand sie vor dem
Reichstag und blickte südwärts. Außerdem war sie kleiner. Was war passiert?
Dass Berlin eine breite Ost-West-Achse hat, war auch den
Nazis nicht entgangen. Der GröFaZ (größter Feldherr aller Zeiten) hatte dann
die schlaue Idee, vor dem Reichstag einen riesigen Dom namens
"Germania" zu bauen und von dort aus eine Nord-Süd-Achse durch Berlin
zu treiben, vor der die Welt erblassen sollte. Alles sollte gigantisch, deutsch
und ewig sein, besonders aber gigantisch. Man kennt diese Brutalo-Architektur,
die Berlin letztlich bis auf ein Gebäude (am heutigen Kulturforum, das aber
nach dem Krieg abgerissen wurde) erspart geblieben ist.
Der Achse war die Siegessäule im Weg, weshalb sie
kurzerhand umgesetzt wurde. Bei der Gelegenheit erinnerte man sich daran, dass
sie aus Anlass des Sieges über Frankreich (1870/71) errichtet wurde und drehte
sie nach Westen - hin zum Erbfeind, damit er das Goldene in ihrem Auge sehe.
Außerdem wurde sie um eine Säuleneinheit höher gemacht (bis Frankreich gucken,
das geht ja nicht aus 20 Metern Höhe). Man erkennt es an den Kanonenkränzen
(vergoldete Kanonen aus dem deutsch-französischen Krieg): Das oberste Element
wird durch einen Kranz vergoldeter Stäbe abgetrennt, welche Kanonen nur noch
wenig ähneln. Mit der Siegessäule umziehen durfte auch das Bismarck-Denkmal,
das direkt vor dem Reichstag gestanden hatte, geziert von einer hübschen
Brunnenanlage. Heute steht es in der Nähe der Siegessäule und wird langsam von
der Vegetation überwuchert. Der Platz vor dem Reichstag blieb leer und öde bis
in unsere Tage, zeitweise wurde er als Fußballplatz genutzt.
Wenn man heute an der Seite des Sony-Centers am Potsdamer
Platz steht, die Richtung Kulturforum liegt, befindet man sich direkt auf der
geplanten Nord-Süd-Achse. Der Marlene-Dietrich-Platz vor dem
Stella-Musical-Thater wäre das erste große Kreisverkehrs-Rondell der Achse
gewesen.
Der "Südkreuz"-Bahnhof Papestraße wäre einem
riesigen Bahnhof gewichen, der gleichfalls mitten auf dieser Achse gelegen
hätte (Robert Harris hat ihm in seinem SciFi-Roman "Vaterland" den
Namen "Gotenland" angedichtet.). Für einen Triumphbogen südlich des
Bahnhofs Yorckstraße (in Nazi-Sprache hieß er "Bauwerk T") wurde
bereits zu Testzwecken ein Betonsockel gelegt, den man heute noch sehen kann.
Was also ist Berlin? Ein immerwährendes Hin- und Hergeschiebe eigentlich vernünftig geplanter und beeindruckender Bauwerke deutscher Geschichte. Und wenn Sie dort mal einen Kaiser treffen - der heißt entweder Friedrich oder Wilhelm. Oder gleich beides. Viel Spaß in Berlin!